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Freunde

Angelika Gentgen - 23.05.2004

Mein Mann sitzt mehr oder weniger im Rollstuhl.
Er hat eine Muskeldystrophie. Das ist eine fortschreitende Muskelschwäche.
Die komplette Muskulatur ist betroffen, also z.B. auch die Augenlider, die Lippen, die Hände, etc..

Er ist jetzt 50 geworden und bereits seit 11 Jahren Rentner.
Ich helfe ihm so gut ich kann.
Ich bin allerdings ganztags berufstätig, muss ganztags berufstätig sein.

Ausserhalb des Hauses benutzt mein Mann bei größeren Strecken den elektrischen Rollstuhl, kürzere Strecken schafft er noch langsam und mit Stock alleine.

Oft stütze ich ihn beim Laufen, da er schnell stolpert.

Einige wenige unserer Freunde beziehen ihn, bzw. uns mit ein, d.h. sie schlagen vor, doch einmal einen gemeinsamen Ausflug zu unternehmen und machen sich sogar Gedanken darüber, welche Orte man denn aufsuchen könnte mit Rollstuhl.

Aber die meisten denken gar nicht darüber nach.

Einmal haben uns Freunde gefragt, ob wir denn gemeinsam mit einer ganzen Horde nach Köln mitfahren würden, zu einer Varieteveranstaltung.
Wir haben uns erkundigt, und uns wurde gesagt, dass der Weg vom Hauptbahnhof zum Variete nicht weit sei. Also beschlossen wir mitzufahren und zwar ohne Rollstuhl, weil dieser auch sehr hinderlich ist, im Zug, an Treppen... es war ja nicht weit.

Im Zug nun war die Ausgelassenheit groß.
Einer meinte: "Dann können wir ja gleich vorher noch auf den Weihnachtsmarkt und dort was essen!"
Ich dachte nur: "Wie weit mag das denn zu laufen sein?"
Die anderen schmiedeten weiter Pläne.
Ich hab dann gefragt.
Es hieß: "Ja, der Weihnachtsmarkt liegt in der entgegen gesetzten Richtung."
Auf meinen Einwand hin, dass der Wolfgang so weit nicht laufen könne, wollte man uns zuerst zu dem Theater bringen und dann zum Weihnachtsmarkt weiter ziehen.
Grundsätzlich sicher ein guter Ansatz, aber das Bringen lief so schnell vonstatten, dass mein Mann und ich fast laufen mussten, um die anderen beizuhalten, also für meinen Mann war es ein Laufen.
Keiner der anderen drehte sich um. Alle waren in ihr fröhliches Geschwätz vertieft.

Als wir endlich ankamen standen mir wieder einmal die Tränen in den Augen.
Man fühlt dann so eine Ohnmacht.

Die anderen bemerkten davon nichts. Sie hatten ja ihre gegenseitige Fröhlichkeit.
Sie zogen ab, waren erleichtert uns abgeliefert zu haben.

Da standen wir nun, im Dezember, vor einem Kabarett, was erst in anderthalb Stunden öffnete. Was nun?
Wir hatten Glück.
Das Personal ließ uns vorzeitig hinein, netterweise.
So konnten wir beobachten, wie aus den auf Frau geschminkten Kellnern später Travestiekünstler wurden.
Sicherlich lohnender, ausgefallener als der Weihnachtsmarktbesuch.


Als ich diese Geschichte einer Bekannten erzählte meinte diese, das könne man von Freunden auch nicht erwarten, dass sie so viel Rücksicht nähmen.

Ich habe daraufhin gesagt, das hieße also, dass mein Mann und ich immer alleine Unternehmungen machen müssten und wir uns unseren Freunden gar nicht erst anschließen dürften.
Sie bejahte dies.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 24.05.2004
Kategorie: Nachdenkliches

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