Auf-/zuklappen

Es tut so weh

Angelika Gentgen - 06.11.1994

Sie meinen es gut und geben mir einen Geschenkartikelkatalog und sagen: "Schau doch mal rein. Wenn ich so richtig abgespannt bin hilft mir das!"

Sie kapieren nicht, dass mir jeder Gedanke, jeder Blick, im Kopf so weh tut!
Ich gehe nur noch im Dunkeln raus und dann nur durch Straßen, die schlecht beleuchtet sind. Jede Laterne, jedes erleuchtete Fenster tut mir so weh im Kopf.
Jede Geräusch, auch das leiseste, tut mir im Kopf so weh und lässt mich erzittern. Mir ist so schwindelig, mein Kreislauf spielt verrückt. Ich kann weder ein Buch lesen, noch auf den Fernseher gucken.
Ich kann auch nichts kochen. Allein das Denken: "Jetzt mußt du den Kühlschrank aufmachen und Eier rausnehmen", tut mir so weh.
Ich kann auch nicht schlafen. Immer wenn ich fast eingeschlafen bin, falle ich in ein tiefes Loch und fahre erschreckt hoch.
Ich glaube mir hält jemand die Gurgel zu, auch tagsüber.
Ich kann nur noch liegen und weinen.
Ich denke: "Jetzt bringen sie dich in die Klapsmühle."

Dieser Zustand hält tagelang an.
´Störung des vegetativen Nervensystems´ nennen sie das.

In meinem Bauch ist Unruhe. Ich kann nicht mehr 1 + 1 zusammenzählen. Es tut so weh.


Das war vor 4 Jahren. Ganz langsam ging es aufwärts.
Ich bin nicht in der Klapsmühle gelandet.
Ich bin nach 3 Wochen wieder zur Arbeit gegangen. Hab` versucht zu überspielen.
Morgens vor der Arbeit hab` ich mir vier Wecker gestellt, hab` mich mühsam aus dem Bett geschleppt, hab` erst 3 Minuten auf dem Bettrand gesessen. Es tat so weh, mir war so schwindelig.
Die Hände wurden bei jeder kleinsten Anstrengung schweißnass.
Während des Schminkens hab` ich mich mindestens zwei mal auf den Toilettendeckel gesetzt, wenn`s nicht mehr ging.

Ich hatte einen verantwortungsvollen Job, war Abteilungsleiterin. Hab` versucht zu überspielen.
Nach dem Job hab` ich mich sofort ins Bett gelegt, bin bis zum nächsten morgen dort geblieben.
Ich hab` noch ein Jahr später nur diesen Sch e i ß job gemacht, sonst lief nichts.

Ich konnte weder Geld am Automaten ziehen, noch in Supermärkten einkaufen gehen, noch Fernsehgucken. Das tat alles so weh im Kopf.

Ich hab autogenes Training gemacht; Bilderanalysen; war natürlich eine der Besten.

Ich habe herausgefunden.
Mache jetzt einen anderen Job. Habe mehr Zeit für mich und fange wieder an zu leben.

Ich bin vorsichtig geworden, beobachte mich.
Mein Kopf tut nur noch manchmal weh.
Ich kann wieder fast alles machen, und ich bin zuversichtlich.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 16.08.2004
Kategorie: Verzweiflung

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