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Die unangepasste Gurke

Inge Wrobel - 08.12.2006

Die unangepasste Gurke

Es war Liebe auf den ersten Blick. Zielsicher entdeckte ich dich inmitten perfekt geformter Schlangengurken und legte dich beglückt in meinen Einkaufswagen. Anlass genug für meine "bessere Hälfte", abzulästern: "Du schaffst es auch immer wieder, aus der größten Masse das schlechteste Produkt auszuwählen", meinte er. Nachsichtig lächelnd legte ich dich, meine auserkorene Gurke, zurück in den Wagen, nachdem mein Ehegespons dich zu deinen wohlgeformten Schwestern zurückgelegt, und mir einige Prachtexemplare als Alternative vor die Nase gehalten hatte. Nein, ich wollte DICH, und ich wählte DICH, basta!
Dein eines Ende war dicker, als bei deinen Schwestern – dafür das andere dünner. Zudem warst du nicht gleichmäßig schlank und gerade gewachsen, sondern krumm. Ich konnte förmlich nachvollziehen, wie du dich im Gewächshaus zum Licht drehtest, versuchtest, deinen Urahnen nachzueifern, die vor langer Zeit noch auf dem freien Felde sich zur Sonne streckten. Unter Berücksichtigung dieser verschärften Bedingungen hattest du viel erreicht: an beiden Enden warst du gleichmäßig chlorophyllverwöhnt grün. Deine durchgängige Festigkeit bereitete mir beim Prüfen bereits ein sinnliches Vergnügen und deine natürliche geschwungene Linie verwöhnte mein ästhetisch verwöhntes Auge. Wie schön, dass du offensichtlich den Augen der gestrengen Prüfer beim Schichten in die Versandkisten entwischt bist – eigentlich hättest du aussortiert werden müssen. So wurde meine Vorliebe für alles Unangepasste, Unbequeme und Aussergewöhnliche belohnt.
Mein Tick, mich für Andersartige, Minderheiten und Freaks zu interessieren, zu begeistern und zu engagieren ist bekannt, und meinem Ehegatten unverständlich bis peinlich. Ich habe damit kein Problem; frage mich nur, warum ich bei der Partnerwahl von diesem Prinzip abgewichen bin.......Waren es die Hormone? Ja, es müssen die Hormone gewesen sein, die meine sonst sicheren Sinne vernebelten.
Gerade habe ich dich, meine unangepasste Gurke, verspeist. Es war – wie nicht anders zu erwarten – ein kulinarisches Erlebnis höchster Güte.


© Inge Wrobel 08.12.2006





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 23.12.2006
Kategorie: Nachdenkliches

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