Auf-/zuklappen

Sie trug einen Blizz...

Gabyi - 2003

Ein Blitzmädel war ihre Mutter während des zweiten Weltkrieges gewesen.
»Blitzmädels« - so wurden Frauen damals nach dem Blitzsymbol auf dem Ärmelabzeichen ihrer Uniform genannt. Auf einem Foto, das im Wohnzimmer der Eltern stand, sah man die Mutter mit eben diesem Abzeichen an der Uniformjacke in die Kamera lächeln, die blonden Locken streng nach hinten gekämmt.
Sie hatte es ihren Kindern voller Stolz erzählt, dass sie damals im Krieg so ein Mädchen gewesen war und es hörte sich für die Kinder so frisch und so blitzeblank an, wenn sie davon berichtete. So blitzsauber und rein klang es, wie mit Persil gewaschen. Von der schönsten Zeit ihres Lebens schwärmte sie, als sie noch jung und unbeschwert war und alle Männer ihr zu Füßen lagen.
Nachrichtenhelferin war sie gewesen im zweiten Weltkrieg.
Alle Wehrmachts- Nachrichtenhelferinnen und Fernmelde-Helferinnen wurden damals allgemein nur "Blitzmädel" genannt. Es waren junge Frauen, die deutsche Uniformen trugen: das Grau des Heeres oder das Graublau der Luftwaffe. Am linken Ärmel der Uniform glitzerte ein Abzeichen, der Zacken eines Blitzes, dessen Spitze nach unten gerichtet war. Heute fragt die Tochter sich: Steht dieser Blitz vielleicht für SS ? Doch alle noch Lebenden weisen diesen Gedanken weit von sich.
Die Nachrichtenhelferinnen waren Frauen, die im Hinterland der kämpfenden Truppe Schreibarbeiten leisteten, Nachrichtenverbindungen herstellten und Funkmessgeräte bedienten. Ihre Mutter stöpselte damals die Telefonverbindungen zusammen.
Ihre Truppe war dem Oberkommando des Heeres unterstellt. Die entsprechende Ausbildung absolvierte sie in Gießen, wo jungen, gesunden und blonden Frauen Fachwissen und im günstigsten Fall auch eine Anwartschaft auf eine Ehe mit einem SS-Funktionär vermittelt wurde. Die Mutter wurde dort in Haushaltsführung und Kindererziehung unterwiesen und dann während des Krieges in Schlesien, Ostpreußen, Helsinki und am Ende in Husum als Nachrichtenhelferin eingesetzt.
Sie hatte einiges gelernt über Kindererziehung und alles darüber, wie man mit Nazi-Ideologie kleine Kinder beherrschen kann. Schwarze Pädagogik. Sie hat es später versucht, konsequent anzuwenden, der Erfolg war bescheiden und das Ergebnis traurig. Ihr Erziehungsstil war von Psychoterror, Unerbittlichkeit, Härte und Eiseskälte bestimmt. Mütterlichkeit war ihr fern und unbekannt, Warmherzigkeit nur ein Fremdwort und geringste Gehorsamsübertritte ahndete sie mit Kleiderbügelprügeln. Der abendliche Rohrstock war allerdings die Domäne ihres Mannes.
Als junges Mädchen sollte die Mutter allerdings eine lebenslustige Person gewesen sein. Nachdem sie drei Kinder zur Welt gebracht hatte, verging ihr so nach und nach die überschäumende Lust am Leben. Und einen SS-Mann hatte sie am Ende auch nicht geheiratet, nur einen armen heimatlosen Funker aus Ostpreußen, den sie erst ganz am Ende des Krieges nach der Kapitulation kennen gelernt hatte.
Ihre Jugend hatte sie auf dem Abenteuerspielplatz 2.Weltkrieg ausgelebt, danach wurde alles etwas langweiliger und öder. Plötzlich musste sie Eigenverantwortung tragen. Für Kinder zum Beispiel. Und immer wieder erzählte sie ihnen die Geschichte ihrer verflossenen Jugend, so wie der Vater sie seine traurige Story von der verlorenen Heimat wissen ließ.
Am Ende bekam die Mutter Alzheimer und vergaß ganz schnell alles. Jetzt konnte man sie nicht mehr nach Details fragen. Die erste Tat ihres Mannes war es, nachdem er sie ins Heim gegeben hatte, noch schnell einen Schredder zu kaufen, um ihre Briefe aus der Blitzmädel-Zeit inklusive Feldpost zu zermahlen und zu vernichten. Um auch die allerletzten Beweisspuren ihres wahren Lebens für immer auszulöschen.
Das, was ihr Gehirn schon lange vorweg genommen hatte.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 09.08.2005
Kategorie: Kurzgeschichten

Link zum Gedicht

Das Reimlexikon der Lyrikecke

Träumst Du davon selbst eigene Gedichte, Song-Texte oder Raps zu verfassen, aber Dir fallen keine passenden Reime ein?

Das Reimlexikon der Lyrikecke hilft Dir beim Reimen - schnell und kostenlos.


Theorie des Schreibens


Lyrikecke bei Facebook
Lyrikecke bei Facebook