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Wermelskirchen (History)

Gabyi - 2016

Wermelskirchen

Wermelskirchen ist eine Mittelstadt in Nordrhein-Westfalen im Bergischen Land.
Es gibt dort eine Knochmühle und Graf Otto von Bismarck, begraben in Friedrichsruh, war hier Ehrenbüger.
Wermelskirchen ist in meinem Sprachgebrauch bei mir allerdings auch Synonym für ein Lügenkonstrukt, durch das sich jemand herausreden will, um besser dazustehen. Notlüge nannte das mein Vater seinerzeit, aber ich konnte als Kind keine Not darin erkennen.
Was war geschehen ?
Es fällt mir noch heute schwer, darüber zu berichten.
Zu viele negative Emotionen sind an die Ereignisse geknüpft und zu viele Dinge bleiben im Dunkeln.
Ich war ursprünglich ein Schielkind, wurde mit Pflastern auf dem Auge, Brille und hässlichen Brilleneinsätzen, die das Auge verdeckten, malträtiert, und von den anderen Kindern deswegen geärgert, geschlagen und gehänselt. Häufig stand ich in der Ecke unseres alten Hauses am Erker, um mich unsichtbar zu machen.
Der Augenarzt, den meine Eltern konsultiert hatten, riet davon ab, das Auge zu operieren. Er kam aus Breslau und seine Vorzimmerdame trug einen strengen Dutt mit zwei gekreuzten Stricknadeln darin.
Jedes Mal, wenn mein Vater mit mir zu Herrn Professor Die. nach Kiel in die Schillerstraße fuhr, hatte ich eine panische Angst und weinte und schrie wie am Spieß schon in der Nacht vor dem Termin.
Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, was dieser alte Mann mir angetan hatte, als er allein mit mir in einer dunklen Kammer damit beschäftigt war, meinen Visus zu bestimmen. Mein Vater war nie dabei zugegen gewesen.
Aber das eine Mal, das ist mir sehr deutlich in Erinnerung geblieben.
Es war das eine Mal nach einer längeren Pause von Besuchen.
Ich erinnere mich noch so genau daran, als wär es gestern gewesen.
Mein Vater und ich standen - nahezu bittstellend - im Vorzimmer von Professor Die. vor dem Schreibtisch der Vorzimmerdame mit dem Dutt auf dem Kopf.
Sie hatte einen Stift hinter das linke Ohr geklemmt und noch bevor sie meinem Vater wichtige Fragen stellen konnte, begann er seine larmoyante Geschichte zu erzählen. Ich versank fast im Boden vor Scham.
"Mein Schwiegervater ist alt und klapprig geworden, darum musste unsere Familie nach "Wermelskirchen" umziehen." Was für eine absurde Geschichte, dachte ich, angewidert von meinem eigenen Erzeuger. "Nun sind wir aber wieder zurückgezogen." Diese Logik erschloss sich mir überhaupt nicht, und ich erwartete die Rückfrage "Warum ?", die aber zum Glück ausblieb.
Mein armer, obrigkeitshöriger Vater hatte Angst, einer Koryphäe nicht zu Willen gewesen zu sein. Indem er ihr keine Aufträge verschafft hatte mit mir als willigem Rohstoff. Und er hatte eine blinde Ehrfurcht vor akademischen Graden, die mir keinen Respekt einflößen konnten.
Und mein Vater hatte gelogen. Das durfte man doch nicht, so hatte man es uns beigebracht.
Auf meine Frage "Warum hast du gelogen ?" antwortete er nur "Mein Kind, das war eine Notlüge."
Er hatte bei mir den Respekt verspielt, für immer. Durch sein "Wermelskirchen", das dann zum geflügelten Wort wurde - für Lügengeschichten.
In Wermelskirchen wohnte übrigens eine Tante mütterlicherseits, die meine Brüder oft besuchen durften. Ich nicht, weil mein Onkel im Verdacht stand, kleine Mädchen anzugrabschen. Was er aber trotzdem bei mir tat, wenn er uns besuchte.
Noch ein Aufschrei.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 19.03.2016
Kategorie: Kurzgeschichten

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