Auf-/zuklappen

Ach, gibt es nicht genug schon an Problemen?!

SergeD. - 15. Feb. 2005

ACH, GIBT ES NICHT GENUG SCHON AN PROBLEMEN?!

(Sonettenkranz)

gewidmet meinem "unbequemen"
LE- und Narren-Kollegen

Kuschelmuschel


I

Ach, gibt es nicht genug schon an Problemen?!
Man ist es in der Tat allmählich leid:
Miseren welt- und nicht bloß deutschlandweit!
Machtkämpfe zwischen Staats- und Denksystemen,

Fanatiker im Glauben, zur extremen
Gewalt, zu Terror, Massenmord bereit -
und ein Herr Bush, von sich und Gott geweiht,
die Welt allmählich in Besitz zu nehmen.

Politiker in diesem uns'ren Lande,
die Deutschland in den Abgrund reformieren,
indessen sie durch stille, feste Bande
zur Wirtschaft heimlich fleißigst abkassieren.

Es ist was faul im Staate, ohne Frage!
Was müssen wir nicht hören alle Tage!?


II

Was müssen wir nicht hören alle Tage!
Selbst wenn die Presse uns indoktriniert,
Nachrichten, wie sie möchte, ausfiltriert:
Sie kriegt sie auch nicht rosig, uns're Lage.

Des Deutschen liebstes Kind gar ist in Frage
gestellt derzeit: Beim Fußball wird geschmiert!
Was bei Politikern längst akzeptiert
als Usus ist, erweckt hier laute Klage.

Ist's da ein Wunder, wenn am Feierabend
man sich, Entspannung suchend, von der leichten
Berieslung weiterzappt zur ultraseichten,
an Nullachtfünfzehn-Serien vom Schlage
"Schön, reich und doof wie eh und je" sich labend?!

Ist nicht das Leben schon genügend Plage?!


III

Ist nicht das Leben schon genügend Plage?!
Nicht wegen Alltagsschwierigkeiten bloß -
es geht in unserm Land auch riesengroß
ein Schrecken, eine Angst um heutzutage:

Vielleicht schon morgen stehst mit einem Schlage
du auf der Straße, elend, arbeitslos.
Hartz Vier heißt dann Herrn Clements Gnadenstoß,
damit du nie mehr rauskommst aus der Lage.

Höchst unerfreulich, alle diese Themen!
Und drum nimmst du vielleicht ein Buch zur Hand,
erhoffst dir just von einem Lyrik-Band,
daß deinem Geist er wohltut, ihn entspannt,
mit Schönem ihn beschäftigt statt Problemen:

Laß im Gedicht uns davon Abstand nehmen!


IV

Laß im Gedicht uns davon Abstand nehmen,
zu schildern, wie der alte Nörgler Brecht,
daß wenigen es gut geht, vielen schlecht,
und hinzuweisen auf die Rechtsextremen!

Wir wollen nichts drin hören von Problemen;
denn Lyrik ist allein dann rein und echt,
wenn heiter, unbeschwert und mundgerecht
sie uns verschont mit allem Unbequemen!

Soll nicht denn jeder echte, wahre Dichter
mit seinem Werk verweisen auf das Schöne?!
Was also wollen diese Bösewichter,
Schalksnarren, Spötter und Mephistosöhne
mit solch gesellschaftskritischen Poemen?!

Natürlich gibt es lieblichere Themen!


V

Natürlich gibt es lieblichere Themen
als Politik, Verbrechen, Elend, Not,
den alltäglichen Wahnsinn, Leid und Tod
und, wie bereits gesagt, die Rechtsextremen.

Doch wollt ihr einen Dichter drum verfemen,
weil er euch sagt: "Nicht alles ist im Lot;
in uns'rer Welt ist einiges marod!"?
Weil er euch drängt, Mißstände wahrzunehmen?

Wenn er euch drängt, genauer hinzuseh'n,
dürft ihr das nicht als destruktiv versteh'n:
Verbessern will er letztlich ja die Lage.

Vielleicht, wenn sie nur etwas heiler wär',
die Welt, beschrieb', besäng' zu gern auch er
Verliebtsein, Liebeswerben, Liebesklage...


VI

Verliebtsein, Liebeswerben, Liebesklage
willst gerne lyrisch du zum Ausdruck bringen?
Dann mußt zuallererst von Schmetterlingen
in deinem Bauch du schreiben heutzutage!

Denn gegen die war die Heuschreckenplage
Ägyptens einst ein Klacks: so zahlreich schwingen
sie ihre Flügelchen, vor allen Dingen
bei liebesfreundlicher Großwetterlage!

Und freilich enden ganz unweigerlich
Liebesgedichte mit "Ich liebe dich!"
Dann geht's zur Sache: Je nachdem, wie heftig,
entsprechend schwül beschreibst du es und deftig!
Daß Röte es ins Leserantlitz jage!

Auch davon kann man schreiben, ohne Frage...


VII

Auch davon kann man schreiben, ohne Frage -
und manche Dichter tun es immerzu -,
wie ein gewisses Ich ein hübsches Du
verspricht zu lieben bis zum Jüngsten Tage.

Von Sex in Kopfstand, Bauch- und Rückenlage,
mit oder ohne Strapse und Dessous,
mit oder ohne letztes Wort-Tabu,
auf daß kein Zweifel mehr den Leser plage.

Stell ja nichts seiner Phantasie anheim!
Beschreib, erklär ihm jegliches Sekret!
Er ekelt sich entweder oder geht
dir fasziniert auf den Erotikschleim...

Ja, manche Dichter lieben diese Themen -
doch ich bin einer von den Unbequemen.


VIII

Doch, ich bin einer von den Unbequemen:
Es mögen and're euch von Schmetterlingen
im Bauch, von Liebe, Lenz und Herzschmerz singen -
mein Faible sind die kantigeren Themen.

Und ich beziehe gerne die extremen
Standpunkte; denn ich will vor allen Dingen
euch, meine Leser, nachzudenken zwingen -
mögt ihr mir manchmal das auch übelnehmen.

Ihr werdet Friede, Freude, Eierkuchen
in meinen Versen meist vergeblich suchen:
Ich seh die Welt nun 'mal nicht rosarot.

Solang's dort Krieg, Haß, Unrecht gibt und Not,
werd' ich ein unbequemer Mahner sein.
In dieser Hinsicht müßt ihr mir verzeih'n...


IX

In dieser Hinsicht müßt ihr mir verzeih'n:
Ich kann mich über Mißstand zwar erregen,
das wohl - jedoch Patentrezept dagegen
fällt drum auch mir noch lange keines ein.

Das mag wie mit dem Hühnergleichnis sein:
Ich kann durchaus nicht selber Eier legen -
jedoch ob eines stinkt, kann ich deswegen
trotzdem bemerken. Wißt ihr, was ich mein'?

Und manches, find ich, stinkt nun 'mal zum Himmel,
was da die hohen Herren mit uns treiben.
Das ist, worüber ich Gedichte mache.

Nennt es des schwachen kleinen Mannes Rache,
ja nennt es meinetwegen einen Fimmel:
Ich werde immer Welt, nicht Wolken schreiben!


X

Ich werde immer Welt, nicht Wolken schreiben.
Vielleicht hab' ich zu wenig Phantasie.
In Wolkenkuckucksheim war ich noch nie...
Doch heißt das: mit der Dichtung Mißbrauch treiben?

Bereits die ältesten Gedichte reiben
sich an der Umwelt, spotten bös' - und wie!
Weshalb sollt' also heute Poesie
harmlosen Themen vorbehalten bleiben?

Vielleicht begründet meine Wahl sich schlicht
auch dadurch, daß ich melancholisch bin,
noch immer suche nach des Lebens Sinn...

Und dafür brauch' ich einen klaren Blick!
Seh rings auch weit mehr Elend ich als Glück:
die rosarote Brille steht mir nicht.


XI

Die rosarote Brille steht mir nicht,
die überlaß ich gerne Elton John
und Anastacia. Blendet was? Ich sonn'
in Ruhm mich weder noch im Rampenlicht.

Viel lieber überschreit' ich im Gedicht
klar sehend Rubikon um Rubikon,
sag', was ich denk'. Vielleicht bekommt davon
ja auch der Leser eine bess're Sicht.

Dem Leser freilich sind solch ungesüßte
Gedichte weder leichte Kost noch lieb.
Ach, wenn ich doch nur Liebeslyrik schrieb'!

Die Stimme eines Rufers in der Wüste
trifft nicht auf off'ne Ohren allgemein -
nur, freilich, ab und zu: da kann es sein.


XII

Nur, freilich, ab und zu, da kann es sein,
daß ich voll Tatendrang am Schreibtisch sitze
und mir fällt aber auch schon nicht das klitze-,
das allerklitzekleinste Thema ein.

Der Wasserhahn im Bad nervt obendrein!
Und diese Kälte draußen! Oder Hitze!
Ob ich mir einfach 'ne Idee stibitze?
Von Hesse etwa. Ob er bös' wär'? Nein.

Und seltsam: meist stoß' beim Ideenklau
ich dann auf ein Gedicht an eine Frau...
Sieh an: Ja, auch darüber kann man schreiben!

Und wenn es hinterher so zärtlich klingt...!?
Könnt' sein, daß es bei IHR mir Punkte bringt...!
Da laß auch ich mich gleichsam überweiben.


XIII

Da laß auch ich mich gleichsam überweiben,
wenn mich mein Muschen anguckt dann und wann -
so anguckt, wie nur sie es eben kann! -
und meint, ich könnt' ihr wieder 'mal was schreiben.

Was sollte mir für eine Wahl da bleiben
bei diesem Augenaufschlag!? Mann oh Mann!
Obwohl ich momentan stark denk' daran,
die Zeit uns anderweitig zu vertreiben...

"Jetzt nicht, mein Süßer!", lächelt sie kokett.
"Erst will ich ein erotisches Sonett!
Hörst du?! Nicht eins mit deinen Alltagsthemen!"

Na gut, ich werde mich zusammennehmen...
Ja, wenn es solchen Lohn, Erfolg verspricht,
da schreib' auch ich ein zärtliches Gedicht!


XIV

Da schreib' auch ich ein zärtliches Gedicht,
wenn ich mich schon drauf freu', sie zu entkleiden,
den süßen Anblick ihrer strammen beiden
ZENSIERT und was ihr heißer Blick verspricht.

Da schreib' auch ich von Mond- und Kerzenlicht,
von Liebessehnsucht und von Liebesleiden,
von Schmetterlingen in den Eingeweiden,
vom Herz, das nur für sie schlägt, hüpft und bricht.

Ist endlich dann es fertig, das Sonettchen,
bring' ich es ihr und schlüpf' zu ihr ins Bettchen,
den Lohn dafür nun in Empfang zu nehmen.

Da merk' ich plötzlich: meine Dichterkraft
ist nach getaner Arbeit abgeschlafft...
Ach, gibt es nicht genug schon an Problemen?!


XV

Ach, gibt es nicht genug schon an Problemen?!
Was müssen wir nicht hören alle Tage!?
Ist nicht das Leben schon genügend Plage?
Laß im Gedicht uns davon Abstand nehmen!

Natürlich gibt es lieblichere Themen:
Verliebtsein, Liebeswerben, Liebesklage...
Auch davon kann man schreiben, ohne Frage -
doch ich bin einer von den Unbequemen.

In dieser Hinsicht müßt ihr mir verzeih'n:
Ich werde immer Welt, nicht Wolken schreiben;
die rosarote Brille steht mir nicht.

Nur, freilich, ab und zu, da kann es sein:
da laß auch ich mich gleichsam überweiben,
da schreib' auch ich ein zärtliches Gedicht.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 16.02.2005
Kategorie: Dies & Das

Link zum Gedicht

Das Reimlexikon der Lyrikecke

Träumst Du davon selbst eigene Gedichte, Song-Texte oder Raps zu verfassen, aber Dir fallen keine passenden Reime ein?

Das Reimlexikon der Lyrikecke hilft Dir beim Reimen - schnell und kostenlos.


Theorie des Schreibens


Lyrikecke bei Facebook
Lyrikecke bei Facebook