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Eine Weihnachtsgeschichte (I)

Petra Friedel - Dezember 2017

Vor langer, langer Zeit, als es bereits Mitte November zu schneien begann, saß Prinzessin Genefa im Turmzimmer und sah gelangweilt aus dem Fenster. Eine dicke Schneeschicht bedeckte Wiesen und Felder und der kleine See vor dem Schloss war zugefroren. Schlitten oder Schlittschuhe gab es zu dieser Zeit noch nicht und Genefa, die gerade sieben Jahre alt geworden war, dachte darüber nach, wie sie sich die Zeit vertreiben könne.
Vielleicht unten im großen Ballsaal spielen? Selbstverständlich mit dem Ball, schließlich hieß der Saal ja Ballsaal! Aber dort war es um diese Jahreszeit bitter kalt, das Spielen würde keinen Spaß machen. Kalte Füße und klamme Finger würde sie bekommen!
Ihr fiel ein, dass sie zu Fienchen gehen könnte, der Tochter von Barbara, der gutmütigen Köchin. In der Küche loderte stets ein helles Feuer unter dem großen Kochkessel, schön warm war es dort. Und wenn sie Glück hatte, holte Barbara bedächtig ein Paar der leckeren Honigkrapfen aus dem großen Tontopf.
Beim Gedanken an die Honigkrapfen sprang Genefa unvermittelt auf und kramte aus der großen Spieltruhe ihre Strohpuppe hervor. Die sah schrecklich verzweifelt aus, hatte sie doch den ganzen Sommer über in der dunklen Truhe gelegen. Die Haare waren zerzaust und das Kleidchen schmutzig. Erschrocken sah Genefa sie an und flüsterte: „Tut mir leid, Ännli, ich habe dich völlig vergessen! Der Sommer war lang und nicht einmal warst Du mit mir schaukeln! Sei nicht böse, wir beide laufen jetzt zur Küche und ich bitte Barbara, deine Kleider zu säubern, derweil ich dir die Haare kämme!“ Und während sie so flüsterte schien es, als hätte das Ännli zu lächeln angefangen …

Keine fünf Minuten später drückte Genefa schnaufend die schwere Holztür einen Spaltbreit auf, hinter welcher die Schlossküche lag. Sie schlüpfte durch den Spalt, während sich die Tür hinter ihr wieder laut rumpelnd schloss. Erschrocken drehte sich Barbara, die gerade mit einem riesigen hölzernen Kochlöffel im Kessel rührte, zu ihr herum: „Genefa, musst du mich jedesmal so erschrecken? Irgendwann fällt mir der Löffel in die heiße Suppe und ich verbrenne mir die Finger, wenn ich ihn dort wieder herausfischen muss!“
Genefa wusste, dass ihr die Köchin nicht wirklich böse war und trat näher. „Was gibt es denn zum Abendessen?“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte, in den Kessel hineinzusehen. Der war aber viel zu hoch und so sehr sie sich auch reckte und streckte, sie konnte sie das, was da so lecker duftete, nicht erspähen.
Barbara schmunzelte schon wieder und meinte: „Schwarze Bohnensuppe mit Speck und Zwiebeln!“
Während Genefa das Wasser im Mund zusammenlief, denn sie mochte Bohnensuppe sehr, fiel ihr das arme Ännli wieder ein.
„Barbara, schau doch, mein Ännli braucht deine Hilfe!“ sprudelte es aus ihr heraus. „Den ganzen Sommer über lag sie in der dunklen, staubigen Truhe. Ihre Kleider sind schmutzig, kannst Du sie waschen? Ich will den Rest erledigen: ihr die Haare kämmen und das Stroh glattstreichen. Dann wird mein Ännli mir nicht mehr gram sein und …“
Genefa hörte unvermittelt auf zu reden und sah sich suchend um. „Wo ist denn Fienchen?“
Mit dem Knecht Holz aus dem Wald holen, damit das Feuer brennen kann. Das Schloss ist groß und der Winter kalt!“
„Ja, ich weiß, im Turmzimmer ist es kühl“, meinte Genefa. „Am Schönsten ist es im Winter hier in der Küche. Darf ich bleiben und auf Fienchen warten?“
„Aber sicher, Kind, dein Vater hat ja nichts dagegen!“
Barbara verschwand nun in der Speisekammer, die sich direkt neben der Küche befand und Genefa setzte sich auf die große Bank neben dem Kessel. Sie zog ihrer Puppe das schmutzige rote Samtkleid aus. Ännli sah wirklich erbärmlich aus und Genefa strich das Stroh unter dem Kleid mit flinken Fingern glatt und kämmte ihr das blonde struppige Haar.
Draußen auf dem Hof hörte man Pferdegetrappel und nicht lange danach stand ihre Freundin in der Tür, die eigentlich Josefiene-Marie hieß, die aber alle nur Fienchen nannten. Sie strahlte: „Genefa, es war schön im Wald, du hättest mitkommen sollen! Der Schnee bedeckt glitzernd die Zweige der Bäume und es knirscht beim Laufen unter den Schuhen! Bertholt, der Knecht, hat das Pferd angespannt und ich durfte auf dem großen Schlitten fahren! Hoch oben auf den Baumstämmen sitzt es sich prima und man kann weit sehen!“
Die Tür der Speisekammer quietschte und Barbara erschien mit dem großen, irdenen Topf, in welchem die Honigkrapfen verstaut war. Sie stellte ihn auf den Tisch, nahm den Deckel ab und schaute entgeistert hinein. Ganz still war es auf einmal in der Küche. Die Kinder sahen gebannt zur Köchin, die noch immer kein Wort sagte und mittlerweile wütend in den Topf starrte. Dann griff sie beherzt hinein und zog etwas Zappelndes heraus, das unvermittelt zu greinen begann: „Lass meinen Bart los, du dumme Trine! Aua, du reißt mir ja die Haare aus, lass los, hab ich gesagt!“

Fortsetzung folgt ...





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 07.12.2017
Kategorie: Märchen & Fabeln

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