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verlassen

dervogt - 2003

ich sitze hier wie gelähmt und eine träne verläßt mich durch mein linkes auge, gefolgt von einer zweiten, die den rechten augenwinkel scheinbar nur widerwillig verläßt, dann doch meine heiße wange hinunterläuft. sich im mundwinkel wiederfindet und dort langsam trocknet. tränen machen blind so sagt ein sprichwort, werd ich es hier und jetzt? war ich denn je sehend, hab ich das tatsächliche, das existentielle, das wichtige, lebensnotwendige je wahrgenommen, hab ich - wie du mir sagtest - alles immer verdrängt - das berührende, formende, reifen lassende nie an meine seele gelassen? bin ich deshalb noch nicht verrückt geworden? oder bin ich es schon und meine umgebung tut nur so als behandle sie mich normal um mich zu schonen? hat mein herz deshalb seinen dienst noch nicht versagt, schlägt trotz aller widerwärtigkeiten -oft zu schnell - doch noch immer?
ich schlucke - denke, ob es möglichst ist, dadurch tränen zu vermeiden, denn ich hasse selbstmitleid, doch ist es ein solches, wenn mich meine traurigkeit in ihren bann zieht und wie unwillkürlich tränen in meine augen setzt. ich will sie nicht mehr unterdrücken, kann sie nicht mehr zurückhalten, fühle mich voll und leer zugleich, verlasssen inmitten von menschen, doch wo bist du?
wo bist du als zweiter teil meiner selbst? so notwendig seist du ja nicht, sagte ich mir damals, als ich noch meiner selbstgefälligkeit diente und ihr quasi jeden wunsch von den augen ablas. doch das sind tempi passati und die zeiten ändern sich. doch nicht nur die. ist es denn nicht auch der betrachtungswinkel der sich ändert? zumindest meiner, so denke ich, denn wozu sonst ist uns menschen die sogenannte intelligenz gegeben?
je weiter ich mich vom ausgangspunkt meiner ursprünglichen gedanken entferne,umsomehr schwindet meine trauer. seltsam - denke ich für den moment. ist es nun die trauer an sich, die als spiritus rektor in mir wütet oder ist es das gefühl des verlassenseins? kann ich für mich selbst diese fragen beantworten, und wenn ja - wann? wenn nein: wer kann sie mir beantworten?
du, der meine sehnsucht gilt, bist weit - und diese weite gaukelt mir vor, du könntst diese meine fragen beantworten. jedoch bei licht besehn, die tränen sind inzwischen getrocknet, muß ich mir eingestehn - auch du konntest damals meine fragen nicht beantworten. heute? wer weiß das schon. ich für meinen teil habe dazugelernt, meine gefühle sind stärker geworden, aber auch verletzbarer, weil sie eine größere angriffsfläche bieten. also schütze ich sie, suche sie zu verbergen, oft auch vor jenen die sie bräuchten, dringend bräuchten, wie ich die liebe. wer kann sich nähe erwarten, der sich den menschen verschließt? wer kann sich gefühle erwarten, der selbst keine zeigt. zeigen kann. dazu bedarf es der liebe. doch die liebe hat mich verlassen.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 02.01.2003
Kategorie: Kurzgeschichten

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