Hineingeschnuppert (Eine Schulklasse zu Besuch)

Heut' wollen wir mal sehen, liebe Kinder,
wie eigentlich denn ein Gedicht entsteht!
Was braucht dafür ein Dichter? Wie beginnt er?
Wann weiß er, er ist fertig, der Poet?

So öffnen wir - ganz leis', um nicht zu stören! -
die Tür zu uns'res Meisters Werkstatt nun,
um ihm beim Versemurmeln zuzuhören
und einen scheuen Blick hineinzutun.

Nanu? Wo steckt er denn? Wir überraschen
ihn wohl zur Unzeit? - Nein: dort sitzt er doch,
verborgen hinter einer Wand von Flaschen,
die alle leer sind bis auf eine noch.

Vernehmt ihr dieses leise Kritzekratze?
Das ist die Feder wohl auf dem Papier!
Ach nein: der Meister kratzt sich nur die Glatze...
Und jetzt?! - - - Jetzt trinkt er noch den Rest vom Bier.

Nun aber faßt ans Bäuchlein sich der Meister;
sein Blick wird sinnend, träumerisch-verklärt:
ein unsterbliches Dichterwort verheißt er! - - -
Nein: nur ein Rülpserchen, das ihm entfährt...

Doch jetzt ergreift es ihn, als ob er rase:
er wühlt in seinen Zettelbergen, flucht;
er hebt den Arm - - - und wischt mit ihm die Nase.
Dann hat er wohl ein Taschentuch gesucht...

Aufs neue werden seine Augen kleiner:
er späht, kratzt sich das unrasierte Kinn
und gibt das Wort von sich: - - - "Is denn in keiner
von dene Flaschen mehr a Schlückerl drin?!"

Da seht ihr einmal, Kinder, welche Mühen
das Dichten kostet, wie entbehrungsreich
ein Dichter lebt, damit Gedanken sprühen
und Verse er hervorbringt, goethegleich!

Nun wollen wir den Meister aber, Kindchen,
bei seinem Werk nicht länger stören mehr!
Oh! Habt ihr das gehört? Wie nett: ein Windchen
schickt er als Abschiedsgruß uns hinterher!