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Komm, Fremder, laß dich neppen!

SergeD. - 1985 / 2009

Komm, Fremder, laß dich neppen!

oder

Das größte hysterische Fest Deutschlands



Alle 4 Jahre wieder

Kennst du die Stadt, die kleine, sonderbare
am Isarstrand, das sonst so stille Nest,
von wo aus jener Schrei "Hallo!" den Rest
der Welt durchgellt im Zyklus vierer Jahre?

Dann tragen dort die Männer lange Haare,
Strumpfhosen, manche sind sogar gepreßt
in Ritterrüstung und auf Pferden fest-
geschnallt und manche blasen auch Fanfare.

Spielt allvierjährlich diese Stadt verrückt?
Sie selbst zumindest ist von sich entzückt
und findet Mittelalter große Klasse.

Denn damals gab's hier Fürstenhochzeit. Wer
mit wem? Wen kümmert das?! Tourist, komm her!
In Massen! Landshut bittet dich zur - - - Kasse.



Die Gnade der Geburt

Mitwirken bei der "Hochzeit" darf allein,
wer in der Stadt, in Landshut selbst, geboren.
Geschah das hundert Meter vor den Toren,
sagt gnadenlos die strenge Satzung "Nein!".

Es soll jedoch schon vorgekommen sein,
daß aus dem Kreis der Honoratioren,
der Architekten, Künstler und Doktoren
Gesuche Gnade fanden beim Verein.

Was zählt denn der Geburtsort schon am Ende,
verschönt ihn eine großzügige Spende!?
Bei einem Namen, der die Reihen schmückt,
wird gern doch 'mal ein Auge zugedrückt.
Willkommen, heißt's da, beim Kostümspektakel!

Herrn Niemands Nase freilich ist ein Makel.



Nun feiern sie wieder

Schaut, eine Stadt spielt Mittelalter: Landshut!
Und alle Eingeborenen befällt,
wenn das "Hallo!" in ihren Gassen gellt,
schier eine Wirf-die-Rosen-und-den-Kranz-Wut!

Wie burghoch einen solch ein Edelmannshut
doch über das gemeine Volk gleich stellt!
Ja, diese ständisch wohlgefügte Welt
behagte manchem "Wohlgebor'nen" ganz gut.

Pfalzgraf, dem eine Küchenmagd gefiele:
hier sieht man bürgerliche Trauerspiele!
Mönch, Herzog, Junker zwischen Edeldamen:
Lustspiele gibt es hier und Ehrendramen!

Bier, Wein, Spieß, Speise: in drei Wochen Zechen
läßt vieles sich - auch Ehen, sagt man - brechen.



Nicht ohne Mitgift

Gewiß gab's damals Standesdünkel; heute
sind alle gleich, zum Glück, und demokratisch!
Noch heut' jedoch scheint Eines symptomatisch:
Man heiratet am liebsten reiche Bräute.

Ein Mädchen aus der Arbeitnehmermeute
wär' insofern als Braut leicht problematisch.
Und heut' noch wirkt ein Bräutigam sympathisch,
entstammt er jenem Kreis der "bess'ren Leute".

Kurzum: wie seinerzeit ist heutzutage
noch immer Hochzeit eine Kostenfrage.
Soll jenem Herzog Georg einst, dem Reichen -
so hieß der schon! - der Hauptdarsteller gleichen,
des Polenkönigs Tochter aber sie -

so bleibt nur Landshuts "High Society".



Himmel Landshut, tausend Landshut!

Ja, tausend Landshut! Und vielhunderttausend
Touristen mögen Eintrittsgeld berappen
für Brautpaar, Fürsten, Edeldamen, Knappen,
spätgotisch üppig auf dem Zehrplatz schmausend,

blechstarre Ritter, sich vor gar nichts grausend ...
Und sollt' es auch noch mit dem Wetter klappen,
wer zahlt dann nicht gern einen grünen Lappen,
wenn er Zigeuner seh'n darf, faul sich lausend!?

Es sind nur ein paar alte Veteranen,
die noch Erinnerungen mit sich schleppen,
die etwas von verlor'nem Festgeist ahnen
und fliehen fast vor der Touristenbrut ...

Jedoch den Umsatz fördert wohlgemut
die Vorstandschaft: Komm, Fremder, laß dich neppen!



Wo Standesschranken fallen

Ein ungewaschener, von Wolkenschleiern
gestützter Mond schwankt morgens früh um vier
durch sein gewohntes, friedliches Revier
am Himmel über Landshut/Niederbayern,

wo ein paar Unermüdliche noch feiern,
"Landshuter Hochzeit", und auf die Turnier-
platzwiese hinterm Fürstenzelt das Bier
von Vierzehnhundertfünfundsiebzig reihern.

"Wie menschlich selbst ein Edelmann doch ist!",
sinniert der Landsknecht, wenn der samtbejackte
Fürst mit ihm hinter die Tribüne pißt.

Seit 40 Jahren ist er schon dabei -
nicht wegen der Touristen-Nepperei,
nein: wegen solch erbaulicher Kontakte.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 30.06.2009
Kategorie: Aktuelles & Zeitgeschehen

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