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Bevor der Bus kommt

SergeD. - September 2015

Ich hab's ja meiner Frau schon prophezeit
vor Wochen! Und jetz is es halt soweit!
Jetz bleibt auch unser Dorf nicht mehr verschont.
Dabei is jede Wohnung hier bewohnt!
Wir wissen nicht – auch wenn wir noch so wolln –,
wo wir die ganzen Flüchtling hintun solln.
Sind wir dran schuld, daß Deutschland ungehemmt
jetz diese Flüchtlingswelle überschwemmt?!
An Weihnachten hat für die Dritte Welt
mei Frau jeds Jahr an Scheck noch ausgestellt!
Denn freilich liebt man als ein guter Christ
den Flüchtling – wenn er dort bleibt, wo er ist.
Jetz aber diese wahre Invasion,
die stört doch meine Frau und mich dann schon.
Weil nix mehr anders man im Fernsehn sieht
als diese Masse, die nach Deutschland flieht.
Grad wie der biblische Heuschreckenschwarm.
Die – sagt mei Frau auch – fressen Deutschland arm!

Wir haben uns ja lang nicht eingemischt;
bloß jetz, jetz hat's auch unser Dorf erwischt:
Am Rathaus is ein Aushang: 80 Mann
karrt morgen früh der Omnibus uns an.
Mei Frau – ich konnt's ihr leider nicht verwehrn –
sucht aufm Speicher jetz den Teddybärn
von unsrer Tochter damals, weil sie denkt,
sie kommt ins Fernsehn, wenn sie den verschenkt.
Ich find: zu freundlich soll man auch nicht sein,
sonst richten die sich hier noch häuslich ein.
Die Schulturnhalle, wo die dann loschiern,
kannst nachher sicher kaum mehr renoviern.
Und unsre Kinder?! Ihr Turnunterricht?!
Fallt der dann aus? Ich find: so geht das nicht!
Ein Schulkind hat ein Recht auf seinen Sport!
Wann schickt man denn die Flüchtling wieder fort?
Am Ende haben unsre Kinder nur
deswegen dann ein schlechtes Abitur!
Wer also pädagogisch wertvoll denkt,
begrüßt den Flüchtlingsstrom nur sehr beschränkt!

Zum Glück is unsre Traudel ja schon groß;
die Sorgen zwengs der Schule sind wir los.
Nur: wenn sie morgens jetz zur Arbeit muß,
dann lauert da ein ganzer Autobus
voll unrasiertem Wüstentesteron.
Da sorgt man sich als deutscher Vater schon!
Ich kenn a Menge, denen wohler wär,
wenn man die Leut entmannen tät vorher.
Das geht ja heut ganz schmerzlos und verleiht
dabei die größte innre Sicherheit.
Ich mein: die sind Beschneiden doch gewohnt.
Und Fraun und Kinder werden eh verschont.
Es müssen ein paar Hobelspäne falln,
wenn zwei Kulturen aufeinanderpralln.
Ja, apropo: natürlich müssen auch
die Schleier falln! Da hilft kein Moslembrauch!
Wir wollen keinerlei Verschleierung –
und sehn, ob eine alt is oder jung.
Und außerdem hat so ein Schleierweib
vielleicht an Sprengstoffgürtel um den Leib.
Weil grad die Wüstenweiber manchmal blind
vor lauter Moslemfanatismus sind!
Mei Frau geht auch ind Kirch am Sonntag, doch
ind Luft gsprengt hat die deshalb keinen noch.

Der Schorsch als Feuerwehrdorfkommandant
is auch schon auf die Flüchtling ziemlich gspannt
und hat sei Truppe in Bereitschaft gsetzt.
Man hat's ja oft im Fernsehn gsehn zuletzt,
daß deutschlandweit auffallend konsequent,
wenn Flüchtling wo Quartier beziehn, es brennt.
Und um die schöne, sündhaft teure, grad
eingweihte Mehrzweckhalle wär's doch schad!
Obwohl wir freilich keine Nazis hamm
im Dorf! Bloß so an Wehrsportjugendstamm.
Und wenn sich die den Schädel kahlrasiern
und hie und da den Detlev drangsaliern,
dann mögen die halt Schwule nicht. Na und?!
Die Polizei sieht darin nie an Grund.
Der Wirt sagt nachher jedsmal: "Is scho recht",
weil die Versichrung ihm den Schaden blecht.
Und bei der Schulturnhalle is doch gwiß,
daß die bis unters Dach versichert is.
Falls da sich wirklich einer zündeln traut,
wird die postwendend wieder aufgebaut.

Ich find ja, daß ein Flüchtling, der nicht raucht,
kein Feuerzeug und auch kein Zündholz braucht.
Und wer an Säbel mitbringt oder Dolch,
wird gleich verhaftet; denn das is ein Strolch.
In dem Punkt kenn ich keine Toleranz.
Weil sonst der Untergang des Abendlands
in unser Dorf kommt: morgen früh, per Bus.
"Willkommen" hin und her: der Flüchtling muß
es einsehn, daß er uns im Dorf hier stört,
in unser schönes Deutschland nicht gehört –
so fremdenfreundlich sonst der Deutsche ist.
Ein Flüchtling is halt leider kein Tourist.
Und wenn in unser Dorf er einfällt dreist,
gehört sich's, daß man ihm die Grenzen weist.
Ich hab ein großes Schild gebastelt schnell,
mit dem ich morgen mich vors Rathaus stell,
vielleicht auch vor die Mehrzweckhalle, je
nachdem, wo ich die andern stehen seh:
Das ganze Dorf in friedlichem Protest.
Der Jugendwehrsportstamm macht dann den Rest.
Nur sag ich das nicht ... Was? Was is denn, Frau?
Der Teddybär vom Traudele! Schau, schau ...





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 22.09.2015
Kategorie: Aktuelles & Zeitgeschehen

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