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Golgatha - Ein Passionsgemälde

SergeD. - 2005

Golgatha

Ein Passionsgemälde
in 14 Stationen


I
Der Hohepriester


Ein Dorn im Auge ist er uns schon lange!
Er predigt ohne die geringsten Weihen,
sagt, daß wir Schriftgelehrten Narren seien,
daß niemand je durch uns zu Gott gelange!

Sanft wie die Taube, listig wie die Schlange,
verstreut im Volk er seine Ketzereien.
Solch Aufruhrstiften ist nicht zu verzeihen!
Da ist Verschwörung gegen Rom im Gange!

Er macht uns lächerlich vor allen Leuten,
erdreistet sich, die Schrift neu auszudeuten,
verhöhnt uns - und das dumme Volk erfreut's!

Laßt nicht ihn gegen Rom noch Pfeile schnellen!
Ich rate euch: beseitigt den Rebellen!
Schafft endlich Frieden! Heftet ihn ans Kreuz!



II
Barabbas


Knapp, aber grade noch davongekommen!
Der and're freilich ist ein armes Schwein...
Nun, einer mußte der Verlierer sein!
Die Chancen waren gleich, im Grund genommen...

Doch sieht man wieder 'mal: Mit diesen frommen
Herrn Priestern läßt man besser sich nicht ein!
Pilatus sagte eigentlich ja Nein
beim andern und sah unwohl drein, beklommen...

Hey, es war fifty-fifty, völlig fair!
Die Frage hieß: Geh' ich drauf oder er?
Was soll ich da Gewissensbisse haben?
Pech eben für den ketzerischen Knaben!

Versetz dich in die Lage du einmal:
Da ist auch dir der and're sch***egal!



III
Die Dornenkrone


Es bleibt eine der unlösbaren Fragen,
was für ein Tier dem Menschen innewohne.
Ein grausam mörderisches zweifelsohne,
das Lust dran findet, Schwächere zu plagen,

das stets ein Opfer braucht, um es zu schlagen,
das selbst nicht haltmacht vor dem Menschensohne,
das Schwache zwingt, sei's eine Dornenkrone
zum Spott, sei's einen Judenstern zu tragen.

Ob je dem Menschen die Erkenntnis glückt,
daß nur sich selbst der Würde er beraubt -
sich selbst! -, sooft auf seines Nächsten Haupt
er hämisch eine Dornenkrone drückt?!

Ob je von seiner schadenfrohen Spott-
und Geißlungslust er abläßt? Helf' ihm Gott!



IV
Der Schächer


O Mann, o Mann! Was bist'n du für einer?
Hamm dich ja ganz schön durch'n Wolf gedreht!
Hey, bist du dieser seltsame Prophet?
Dann hast das ja vorhergesehen, Kleiner...

Ein Krönchen trägt er auch schon! Ganz 'n Feiner!
Ach so: bist ja ein König, wie da steht.
Wie's doch so manchem hohen Herrn ergeht...!
Und angenagelt? Ist ja noch gemeiner!

Genier dich bloß nich: Furz und fluch und stöhn,
solang du es noch kannst, nach Herzenslust!
Laß ihn nur raus noch, deinen letzten Frust!

Anscheinend kreuzigen sie statt Ganoven
wie mich jetzt schon die Harmlosen, nur Doofen...
Ich bin noch heut in deinem Reich? Wie schön...



V
Pilatus


Das Wasser ist ganz schmutzig! Trag es fort!
Glaubst du, ich seh' nicht?! Glaubst du, daß ich schlafe?!
Du willst wohl, Sklave, daß ich dich bestrafe?
Dann bring mir neues und gehorch aufs Wort!

Ach, alles, alles tut man mir zum Tort!
Und nun willst auch noch du mich quälen, Sklave! -
Tritt ein! Was bringst du Neues, Quintus? Ave!
Vor allen Dingen sag mir: warst du dort?

Du weißt: ich bin am Blute dieses Mannes
unschuldig - und trotz alledem: ich kann es
nicht ändern: Etwas peinigt mich seither...

Ganz finster wird es? Ach, mich soll nichts mehr
in diesem Land voll Schmutz hier überraschen...
Bringt frisches Wasser mir zum Händewaschen!



VI
Judas


Ich will sie nicht mehr, will sie nicht geschenkt!
Nehmt sie zurück, die dreißig Silberlinge!
Gern gäb' ich hundert, wenn er nicht hier hinge
so schrecklich elend, wie er jetzt hier hängt!

Warum kommt's immer anders als man denkt?
Wenn doch die Zeit zurückzudrehen ginge!
Man sähe sie ganz anders, manche Dinge:
von allen Seiten und nicht so beschränkt.

Für Geld kann man sich auch nicht alles kaufen:
zum Beispiel ein Gewissen, frei von Schuld...
Ich kann nicht jeden Abend mich besaufen!
Doch anders wird es nicht in Schlaf gelullt.

Und dann seh' Nacht für Nacht ich ihn im Traum
hier hängen so: wie eine Frucht am Baum...



VII
Maria Magdalena


Warum? Warum hast du's so weit getrieben?
Ein bißchen spinnen ist ja schön und gut,
und wenn man Leuten hilft und Gutes tut...
Ach, warum bist du nicht bei mir geblieben?

Du schienst mein weiches Haar doch so zu lieben...!?
Und machte ich dir nicht mit Blicken Mut?
Hab' ich zu deinen Füßen nicht geruht
und du hast nichts getan, mich wegzuschieben...?!

Hab' ich mich dir nicht förmlich angeboten?!
Warum sind Männer solche Idioten?!
Abschlachten sich zu lassen - aus Prinzip!
Aus Stolz! Als gäb' es irgend eine Lehre,
die wert, sich dafür aufzuopfern, wäre!

Verdammter Narr! Ich hatte dich so lieb...!



VIII
Petrus


Man wird uns fangen! Fangen und verhören!
Auspeitschen, geißeln, kreuzigen wie ihn!
Lebendig uns die Haut vom Leibe zieh'n!
Weil wir angeblich ihre Ordnung stören,

uns gegen Rom und Priesterschaft empören...
Schon hat mich neulich einer angespie'n
und ein paar Fragen zwangen mich zu flieh'n,
dreimal ihm, ja: dreimal ihm abzuschwören!

Und dann hat mich ein Blick von ihm gefragt,
ein Blick, der mir durch Leib und Seele ging:
"Gilt dir mein Wort mehr oder ihr Geschwätz?"

Und seitdem acht' ich, was man von mir sagt,
mit welchen Martern man mir droht, gering:
Ich bin ein Fisch nur - und er ist mein Netz.



IX
Johannes


Was mach' ich unter diesen Weibern hier?
Die heuchlerisch nur ihr Gesicht verschleiern,
nicht aber ihre Spottlust!? Ja, sie feiern
das Elend dieser Unglücklichen schier,

betrachten die Gequälten voller Gier!
Man fühlt sich gradezu wie unter Geiern!
Nur wenige sind's, die Gebete leiern...
Und keiner fließen Tränen, so wie ihr...

Wie tröst' ich - sag es mir, wenn du es weißt! -
dort deine Mutter, der das Herz zerreißt,
weil sie mitanseh'n muß, wie du, ihr Kind...

Du hast gesprochen? Oder war's der Wind,
der sprach zu uns in deinem trauten Ton:
"Sieh, deine Mutter!" und: "Sieh da: dein Sohn!"



X
Crucifixus


Als wolltest du umarmend uns begrüßen,
so öffnest du, so öffnet es dich weit.
Dein Herz ist groß genug, von Ewigkeit
zu Ewigkeit für uns're Schuld zu büßen.

Und aller Schmerz entlockt nur einen süßen,
erbarmungsvollen Blick dir, der verzeiht,
vergibt, indes dein Blut zum Himmel schreit,
dir aus durchbohrten Händen fließt und Füßen.

Sie wähnten wohl, sie hätten dich verhöhnt,
die frech mit diesen Dornen dich gekrönt
und dort den Zettel an dein Kreuz geschlagen.

Sie wußten ja nicht, daß dein Königreich
im Zeichen eben dieses Kreuzes gleich
beginnen wird, sehr bald schon: in drei Tagen!



XI
Der Schrei


Und eine rabenschwarze Sonne rollt;
die Farben, die der Tag sonst trägt, verblassen.
Windstöße wirbeln Staub auf in den Gassen,
indes ein dumpfer Donner drohend grollt.

Da gellt, wie nie mehr einer gellen sollt',
ein Schrei, zu groß der Welt, um ihn zu fassen:
sein "Vater, warum hast du mich verlassen!?",
sein Zweifel: Gott, hast so du das gewollt?

Drauf öffnet sich die Erde unter Beben
und Gräber spucken ihre Toten aus;
der Tempelvorhang reißt im Sturmgebraus.

Hat damit Gott ihm Antwort nun gegeben?
Wird der Am-Vater-Zweifler schlau daraus?
Wie könnte er? Er ist nicht mehr am Leben...



XII
Pietà


Dein Sohn, den unterm Herzen du getragen,
ist tot. Und er starb nicht von Mörderhand;
er fiel nicht ehrenvoll fürs Vaterland:
Man hat ihn als Verrückten sozusagen,

wie einen tollen Hund, ans Kreuz geschlagen -
obwohl man keine Schuld recht an ihm fand.
Doch die gekränkte Priesterschaft verstand
geschickt, der Ketzerei ihn anzuklagen.

Was aber schert dich Staat, Religion?!
Ob er Rebell war oder ein Prophet?!
Nur daß die Welt für dich heut' untergeht,
das spürst du, denn er war und bleibt dein Sohn:
dein Sohn, den unterm Herzen du getragen...

Noch weißt du nicht, was sein wird in drei Tagen...



XIII
Thomas


Heut' pilgern dorthin ganze Menschentrauben,
wenn wo ein Wunder zu bestaunen ist!
Drum schäm dich nicht, wenn du ihr Urahn bist:
Wir alle wollen lieber seh'n statt glauben

und lassen uns nicht leicht die Skepsis rauben.
(Warst du wohl gar der erste Skeptizist?)
Ja, heute würd' sich mancher gute Christ
weit gründlichere Tests als du erlauben.

Die Wissenschaft würd' heute unverfroren
ihm Meßgeräte in die Wunden bohren!
Den Mut, zu glauben, zu vertrauen blind,
besitzt inzwischen höchstens noch ein Kind.
Und mit ihm ging uns noch etwas verloren:

Wir spüren, daß wir nicht mehr selig sind.



XIV
Das Kreuz


Verlassen ragt es auf nun in die Nacht,
befleckt noch von dem Blut, das es getrunken:
noch Marterwerkzeug nur, nicht Hoffnungsfunken,
Symbol von Roms noch, nicht von Gottes Macht.

Doch jenem gleich, der sprach: "Es ist vollbracht",
bevor das Haupt ihm auf die Brust gesunken,
wird in hellichtem Morgenglanz es prunken,
erstrahlen, wenn der dritte Tag erwacht.

Ja, es wird leuchten wie kein and'res Holz
noch vor ihm, wird auf seinem Hügel stolz
erglänzen wie noch nie ein Siegeszeichen.

Denn sein Ruhm wird - wie dessen, den es trug,
den zu erhöhen nur man an es schlug -
in alle Welt und alle Zeiten reichen.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 23.03.2005
Kategorie: Feste & Feiertage

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