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O du fröhliche ...! - Ein Advents(sonetten)kranz

SergeD. - November 2009

O du fröhliche ...!

Ein Advents(sonetten)kranz




1. Tannenzweig

Die Osterhasen steh'n in den Regalen
in jedem gut sortierten Warenhaus -
vielleicht ein bißchen ihrer Zeit voraus,
doch ganz im Trend, dem internationalen.

Die Eier mit den lustig bunten Schalen
gibt's ebenfalls bereits und - Ei der Daus! -
gleich links vom letzten Schoko-Nikolaus,
dem überalterten Regalrivalen.

Und auf den Sondertischen im Parterre
erwarten Pullis, Socken und Krawatten
ideenlose Freunde, Kinder, Gatten;
denn über sowas freut sich jeder Herr.

Auch Bücher liegen meterhoch bereit.
Dann ist es also wieder 'mal soweit!



2. Tannenzweig

Dann ist es also wieder 'mal soweit.
Wir kaufen wieder Gruß- und Glückwunschkarten
und spenden für den Kongokindergarten;
auch ausgesetzte Tiere tun uns leid.

Wir sagen allen noch einmal Bescheid,
daß wir auch heuer kein Geschenk erwarten -
und kaufen doch - sonst sind wir die Genarrten -
für jeden heimlich eine Kleinigkeit.

Wir blicken, um im Voraus schon zu planen,
rechtzeitig - sonst wird's wieder so gehetzt! -
schon jetzt in den Kalender - und wir ahnen:
Wie jedes Jahr gibt's Streß hoch drei zuletzt!

Es hilft nichts - ob es regnet oder schneit:
auch heuer naht die schöne Weihnachtszeit.



3. Tannenzweig

Auch heuer naht die schöne Weihnachtszeit.
Doch hast seit deinen fernen Kinderjahren
du einmal diese Zeit als "schön" erfahren,
als "still" und Anlaß zur Besinnlichkeit?

Gut, damals hat's dezembers noch geschneit
und in der Küche roch's nach wunderbaren
Naschsachen, die gebacken worden waren -
und leider dann versteckt zur Sicherheit ...

Heut' gehst im Supermarkt du ohne Qualen
und Gier vorüber an Adventskalendern.
Kann einen doch das Alter so verändern?!

Besagt das Wort "Advent" denn mittlerweile
für dich nur noch vier Wochen voller Eile -
mit dieser Ixmäsparty, der finalen?



4. Tannenzweig

Mit dieser Ixmäsparty, der finalen,
hab ich für meinen Teil, wie's grad so gut
"kuhl-neudeutsch" heute heißt, nicht viel am Hut.
Ich häng zu sehr an alten Idealen

von Weihnacht, ja vielleicht auch Ritualen,
und ich gesteh: mir ist nach Spei'n zumut,
wenn "Hou-hou-hou"-Fäns voller Übermut
mit Weihnachtsmann und Rentier Rudi prahlen.

Den Grund für Weihnacht kennt heut' jedes Kind:
daß Rentiere gemustert worden sind;
und eins muß es mit roter Nase malen!
Ja, und Geschenke gibt's natürlich auch!

Da fällt mir ein, daß ich noch welche brauch!
Auf denn in den Adventsstreß, den totalen!



5. Tannenzweig

Auf denn in den Adventsstreß, den totalen!
Die Läden haben jetzt rund um die Uhr
geöffnet, doch die Leute rennen stur
just dann hin, wenn auch ich dort bin! Vandalen!

Und wo sind die Geschenke für den schmalen
Geldbeutel? Ist doch alles Luxus pur!
Von Wirtschaftskrise, Armut keine Spur,
solang es Leute gibt, die das bezahlen!

Zehn Cent pro Nadel bei den Weihnachtsbäumen,
wenn ich mir das so recht zusammenreim' ....
Nee, Kinders, nicht mit mir! Ich schlepp mich heim,

todmüd, ins Bett und seh in meinen Träumen
die Läden menschenleer, ganz mir geweiht,
wo's Sonderangebote nur so schneit.



6. Tannenzweig

Wo's Sonderangebote nur so schneit,
da drängeln jetzt sich wahre Menschenmassen.
Ein Weihnachtsschnäppchen darf man nicht verpassen;
das täte einem sonst ein Jahr lang leid!

Längst geben ja Statistiken Bescheid,
daß süßer nie im Jahr die Ladenkassen
erklingen als beim Weihnachtsgeldverprassen.
Und jeder, staun' ich, hat dafür die Zeit!

Nimmt jeder für den Weihnachtseinkaufsbummel
sich Urlaub? Oder woher kommt der Rummel?
Sind etwa all die Leute arbeitslos

und wollen sich im Kaufhaus wärmen bloß?
Doch flösse dann der Geldstrom wohl so breit?
Im Kaufhaus heißt es jetzt: Die Tor' macht weit!



7. Tannenzweig

Im Kaufhaus heißt es jetzt: Die Tor' macht weit!
Zwar müssen offiziell wir alle sparen,
doch sind zum Christfest, wie in all den Jahren
zuvor, wir unverändert kaufbereit.

An Weihnacht schenkt man eine Kleinigkeit -
aus Tradition! Die wollen wir bewahren!
Und an Silvester ballernd offenbaren,
daß unser Geiz noch nicht zum Himmel schreit!

Jetzt ist der Zeitpunkt nicht, um schwarzzumalen!
Mag's kriseln auch im Westen wie im Osten:
wir lassen uns den Jahresschluß was kosten!

Noch haben wir Kredit! Naja, und brennt's, dann -
pah! - melden wir, wie alle, Insolvenz an!
Die Kassen auf! Das Christkind möchte zahlen!



8. Tannenzweig

Die Kassen auf! Das Christkind möchte zahlen!
Zwar sitzt das Geld jetzt locker - doch wofür?
Carreras hofft, daß Leukämie uns rühr',
und nach wie vor herrscht Hunger in Bengalen.

Hauptsache: Augen zu vor der fatalen
Erkenntnis: Armut gibt's gleich vor der Tür!
Doch dafür fehlt uns leider das Gespür.
Zudem: wer hilft schon gerne Asozialen?!

Nee, also bitte! Diese Obdachlosen!
Stets unrasiert und trinken Bier aus Dosen!
Die geh'n doch uns nichts an! Und überhaupt:

Die kriegen ja vom Staat genug Hartz-Vier!
Da soll sich sonstwer kümmern drum, nicht wir!
Das Christkind? Fest der Liebe? Nun, wer's glaubt ...



9. Tannenzweig

Das Christkind? Fest der Liebe? Nun, wer's glaubt ...
Daß einmal weltweit Frieden möglich wäre,
bleibt ewig Hirngespinst nur und Chimäre.
Nein, dieser Hoffnung sind wir längst beraubt.

Die Kriegsgefahr vielmehr stets höher schraubt
Profit- und Machtgier, deklariert als Ehre
und konsequent vertret'ne Glaubenslehre. -
Nur ist das Wort "Krieg" niemandem erlaubt.

Und da es nicht um "Krieg" geht, kann man Truppen
bedenkenlos auch in der Weihnachtszeit
zum Beispiel nach Afghanistan verlegen.

Verschickt auch manches Kaufhaus doch jetzt Puppen,
zum Einsatz an der Spielzeugfront bereit!
Das Ganze ist ja mehr der Kinder wegen ...



10. Tannenzweig

Das Ganze ist ja mehr der Kinder wegen:
Baum, Lichter, Sterne, Festdekoration,
Geschenke - eine schöne Illusion.
Die Wirklichkeit sieht anders aus hingegen.

Im Grund wohl nur der Kinder wegen pflegen
wir diese überholte Tradition.
Wer - als Erwachs'ner - glaubt ans Christkind schon?
Doch freilich kommt der Urlaub uns gelegen:

Man kann den Lieben an den Feiertagen
sich widmen, füllt sich nährstoffreich den Magen
und darf schon 'mal ein Jahresfazit zieh'n -

indes die Kinder angesichts der vielen
Geschenke nicht mehr wissen, womit spielen.
Der Spaß muß weitergeh'n nach Hellowien!



11. Tannenzweig

Der Spaß muß weitergeh'n nach Hellowien!
Besinnlich sein zur Weihnachtszeit? Oh Mann!
Was bringt denn das? Nee, nee, wir wollen Fann!
Zum Glück ist uns Amerika verlieh'n

als Vorbild, und was immer dort erschien
an Blödsinn, eignen wir uns eifrigst an,
damit uns keiner unkuhl nennen kann.
Wir Deutschen sind als spießig ja verschrie'n:

Ein Volk von Dichtern, Denkern, Sauertöpfen,
das stolz ist auf die eigene Kultur!
Der kennt uns schlecht, der das noch von uns glaubt!

Wir sind ein Volk von hohlen Kürbisköpfen
und woll'n auch im Advent Vergnügen pur!
Jetzt ist das Rentier dran, das lustig schnaubt!



12. Tannenzweig

Jetzt ist das Rentier dran, das lustig schnaubt,
die Nase schon ganz rot vom Glühweinsaufen,
indes sich hinterm Coladosenhaufen
der Weihnachtsmann ein Nickerchen erlaubt.

Denn jene Story ist doch längst verstaubt
von Tscho und Märy, die nach Dingsbums laufen!
Sie Jungfrau, will die Kirche uns verkaufen,
und schwanger! Als ob sowas jemand glaubt!

Nee, also Weihnachtsevangelium
und -predigt und der Papst ist uns zu dumm
mit seinem Hundert-Sprachen-Fernsehsegen ...

Wir wollen auch an Weihnacht fröhlich sein
und hören lieber Englisch als Latein:
Ould Sänta bellt uns "Hou-hou-hou!" entgegen.



13. Tannenzweig

Ould Sänta bellt uns "Hou-hou-hou!" entgegen
am Eingang jetzt von jedem Warenhaus.
Am würdevollen alten Nikolaus
ist König Kunde heut' nicht mehr gelegen.

An Säntas Seite geht auf allen Wegen
das Rentier Rudi mit uns ein und aus.
Und sicher spendet bald schon Mickymaus
anstatt des Papstes uns den Weihnachtssegen.

Ist früher stimmungsvoll ein' Ros' entsprungen,
Besinnlich-stilles im Advent erklungen,
gab's Herzerwärm-Geschichten am Kamin,

so ändert heutzutage der Advent
fast nichts am Jahresdauerdiscotrend:
Zeit wieder, sich "Läst Christmäs" reinzuzieh'n!



14. Tannenzweig

Zeit wieder, sich "Läst Christmäs" reinzuzieh'n,
im Weihnachtseinkaufsrummel mitzuhetzen,
Grußkarten jenen Leuten, die wir schätzen,
zu schreiben, dann noch rasch ein Arzttermin ...

Alljährlich wieder will man davor flieh'n,
erwägt, sich in die Südsee abzusetzen,
die Mitspielregel einfach zu verletzen.
Und wenn nicht Südsee, dann vielleicht Tessin?

Doch ob bei Lappen oder Kannibalen,
am Nord-, Süd-, Westpol oder anderswo:
wohin du auch vorm Weihnachtstrubel fliehst -

du kannst dir sicher sein, es käme so:
Du trittst in einen Laden dort uns siehst:
Die Osterhasen steh'n in den Regalen!



Adventskranz

Die Osterhasen steh'n in den Regalen.
Dann ist es also wieder 'mal soweit:
Auch heuer naht die schöne Weihnachtszeit
mit dieser Ixmäsparty, der finalen.

Auf denn in den Adventsstreß, den totalen,
wo's Sonderangebote nur so schneit!
Im Kaufhaus heißt es jetzt: Die Tor' macht weit,
die Kassen auf: das Christkind möchte zahlen!

Das Christkind? Fest der Liebe? Nun, wer's glaubt ...
Das Ganze ist ja mehr der Kinder wegen:
der Spaß muß weitergeh'n nach Hellowien!

Jetzt ist das Rentier dran, das lustig schnaubt.
Ould Sänta bellt uns "Hou-hou-hou!" entgegen -
Zeit wieder, sich "Läst Christmäs" reinzuzieh'n!





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 26.11.2009
Kategorie: Aktuelles & Zeitgeschehen

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