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Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre

SergeD. - 11. September 2010

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre


Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

Rainer Maria Rilke




1. Psalm

Seit Anbeginn der Menschheit sucht der Geist
nicht das nur zu erkennen, was die Welt,
die sichtbar ist ringsum, zusammenhält,
er sucht auch nach dem Urquell, der sie speist,

der Stimme, die die Welt sich drehen heißt,
dem Schöpfer, der sie einst ins All gestellt,
der auf sie blickt nun, dem sie wohlgefällt
und der den Menschen ihre Wunder weist.

Ja, Wunder sah der Geist, ihm unbegreiflich.
Er staunte lang und überlegte reiflich …
Unsicherheit pflegt Mythen zu gebären.

Und so begann der Menschengeist, Geschichten
von Sonne, Mond und Sternen zu erdichten,
die Wunder dieser Welt sich zu erklären.



2. Psalm

Die Wunder dieser Welt sich zu erklären,
war uns'rem Urahn, der im Felsenloch
des nachts vor wilden Tieren sich verkroch,
ein starkes, doch vergebliches Begehren.

Nur staunen konnt' er und devot verehren.
Die Sonne locken, daß sie schein', jedoch …
(Das übrigens mißlingt uns heute noch!)
Wird Jagderfolg ein Zauberspruch bescheren?

So traf einst unser Urahn allerwegen
auf Wesen, die ihm baumhoch überlegen.
Ob die vielleicht geneigt zu stimmen wären?
Nur wie? Ein Kommunikationsproblem …

Da fiel ihm das Wort "Gott" ein - und seitdem
sind Götter irgendwo in höhern Sphären.



3. Psalm

Sind Götter irgendwo in höhern Sphären,
dann streiten und bekämpfen, grad so wie
die Menschen hier, sich dort gewiß auch sie -
weil andernfalls sie ja nicht menschlich wären.

Wie bei uns Menschen gilt's, den Rang zu klären,
bedarf es einer Götterhierarchie:
Ein Ganz- zwingt einen Halbgott in die Knie,
und der wird drüber sich umsonst beschweren.

Beschweren? Wo? Wenn ein Kollege dreist
zum Beispiel ihm ein Opfertier entreißt,
den Weihrauch vor der Nas' ihm wegschnauft gar …

Viel Ehr', viel Feindschaft in der Götterschar,
viel Streit. Drum muß dort Ordnung sein, ganz klar -
und einer, den man als Gottvater preist.



4. Psalm

Und einer, den man als Gottvater preist,
hat schließlich im Olymp sich etabliert,
nachdem sein Papi Opa rasch kastriert
und seine Kinder bis auf Zeus verspeist.

Man sieht: die Sitten sind schon 'mal entgleist
dort oben, wie es eben so passiert,
wenn keine feste Hand das Haus regiert.
Ein Großfamilienmitglied kennt das meist.

Auch Vater Zeus ging nun gern heimlich bummeln
auf Erden, hübsche Mädels zu befummeln,
ja sie in Tiergestalt zu schwängern dreist.

Die Schwiegerväter dankten für die Ehr',
Amphitryon, als Gatte, noch viel mehr …
Stimmt's mild ihn, wenn man Opfer ihm erweist?



5. Psalm

Stimmt's mild ihn, wenn man Opfer ihm erweist?
Den alten, wilden Göttern mußten Herden
von Feinden oder Vieh geschlachtet werden.
So wollt's die Priesterschaft - und hat zumeist

das Leckerste vom Braten selbst verspeist.
Und heut'? So kultiviert wir uns gebärden:
es geht nicht minder blutig zu auf Erden,
wenn jeder Krieg aus Habgier "heilig" heißt.

Für Gott und Vaterland wirft heut' man Bomben
und opfert nach wie vor ihm Hekatomben.
Noch immer scheint er sich von Fleisch zu nähren,

schickt Erd-, Seebeben, Flut, Epidemie,
der Menschenfresser! Grausam ist er! Wie
wird auf Gebete hin er Gunst gewähren?!



6. Psalm

Wird auf Gebete hin er Gunst gewähren?
Versuchen darf man's; schaden kann es nie.
Und jene Ur-Gebete, Sprüche: sie
letztendlich sollten etwas uns bescheren,

wovon noch heute uns're Herzen zehren:
die Lyrik. Ja, einst war sie Liturgie,
wohlklingende Anrufung Gottes, die
bestimmt war, Poesie einst zu gebären.

Wieviel ward nicht geschrieben unterdessen
zu Gottes Lob an Versen, Liedern, Messen!
Als ob wir seiner uns ganz sicher wären ...

Wir preisen ihn mit Hymnen, Sang und Schall -
hört er, er-hört er uns? Scheint nicht der Fall ...
Er bleibt im Vagen und Imaginären.



7. Psalm

Er bleibt im Vagen und Imaginären,
der alte Herr mit langem, grauen Bart.
Angeblich hat er einst sich auch verwahrt
dagegen, uns sein Bildnis zu gewähren.

So kann ein jeder sein Phantombild nähren,
Gott seh'n und wähnen ganz nach seiner Art.
Stierleibig, sagt Xenophanes apart,
wär' ihr Gott, wenn die Rinder gläubig wären.

Schwarzhäutig ist er für den Afrikaner
gewiß, rothäutig für den Indianer
etcetera - was letztlich nur beweist:

Ob gestern, heute oder übermorgen -
uns bleibt Erkenntnis über Gott verborgen,
wie eifrig Menschensinn auch um ihn kreist.



8. Psalm

Wie eifrig Menschensinn auch um ihn kreist,
wie hoch empor auch Glaubensdenker flügeln:
Gott läßt sich nicht beweisen, nicht erklügeln -
ob einer Anselm oder Thomas heißt.

Zu vieles Denken um ihn rief nur meist
den Vatikan herbei, es scharf zu zügeln.
Mit Feuer läßt sich trefflich niederbügeln,
was protestantisch sich gebärdet dreist.

Solch Fanatismus sei zum Glück verschwunden?
Die Zeit der Scheiterhaufen überwunden?
Das stimmt: heut' wird mit Bomben hingerichtet,
der Glaubensfeind per Attentat vernichtet
Ward aber dadurch etwa Gott gesichtet?

Bis heut' hat ihn die Forschung nicht gefunden.



9. Psalm

Bis heut' hat ihn die Forschung nicht gefunden!
(Vielleicht ja doch: in jenem einen Fall,
als einst drei Weise 'mal in einem Stall ...)
Wir sind imstand, die Erde zu umrunden,

wir messen Zeit in Tausendstelsekunden,
wir können fliegen, schneller als der Schall,
wir senden Satelliten aus ins All,
vermögen Moleküle zu erkunden -

doch nicht im Mikro- noch im Teleskop
war Gott zu sehen. Also fragt sich, ob
es je ihn gab. Wohin wär' er entschwunden?

Der Forscher sagt: "Gemäß der Wissenschaft
ist Gottes Existenz höchst zweifelhaft." -
So mancher leugnet ihn auch unumwunden.



10. Psalm

So mancher leugnet ihn auch unumwunden,
den Retter, den Erlöser, wie Franz Moor.
Doch steht, gleich jenem, ihm der Tod bevor,
hätt' gern im Jenseits er ein Heim gefunden.

Man hab' uns einen Bären aufgebunden
mit Gott; wer an ihn glaube, sei ein Tor!
Aus Angst vorm Nichts nur schauten wir empor,
Trost, Hoffnung suchend für die Sterbestunden.

Mag sein: vielleicht ist Gott nur ein Konstrukt,
vom Menschen selbst ersonnen durch die schwere
Erkenntnis, daß der Tod, das Nichts ihn schluckt.
Nein, da ist keiner, den dein Fortgehn juckt ...

Trotz ist es, der dem Tod ins Antlitz spuckt,
da sei kein Gott, nur trostlos-schwarze Leere.



11. Psalm

Da sei kein Gott, nur trostlos-schwarze Leere -
ob so "vernünftig" es sich besser lebt?
Wenn keine Hoffnung je das Herz erhebt?
Fühlt dann nicht doppelt man des Elends Schwere?

Selbst wenn Gott mehr nicht als ein Märchen wäre,
ein Ideal, das in den Wolken schwebt:
Lohnt nicht es dennoch, daß man zu ihm strebt,
zumindest dieses Ziel sich setzt, dies hehre?

Muß nicht verzweifeln, wer "vernünftig" sieht,
wieviel Verkehrtes auf der Welt geschieht,
wieviele Menschen leiden, wieviel Not,
Krieg, Ungerechtigkeit es gibt und Tod?
Ohnmächtig ist vom Wahnsinn er bedroht -

indes ein andrer gläubig niederkniet.



12. Psalm

Indes ein andrer gläubig niederkniet,
erhebt der Zweifler sich zu Hohn und Spott:
Steht nicht die Erde kurz vor dem Bankrott?!
Ist Gott das, der sie in den Abgrund zieht,

nach dessen Willen Krieg und Leid geschieht?
Wer bist du, wenn du all das zuläßt, Gott?
Sofern's dich gibt, hilf, rett uns, aber flott! -
Tja: Gott ist tot. Er tut nichts, wie man sieht ...

Wohl duldet mancher Hiob seinen Teil.
Und gab's nicht Faust, um dessen Seelenheil
einst Mephistopheles mit Gott gewettet?

Ward er zuletzt gerichtet? Nein: gerettet!
Kommt's doch, sobald das Unheil am Zenit,
zu dem jahrtausendalten Hohelied?



13. Psalm

Zu dem jahrtausendalten Hohelied
vereint die ganze Menschheit sich im Grunde
und es erklingt im Chor aus aller Munde.
Gewiß gibt's manchen Glaubensunterschied,

doch wenn man auf den Quell, die Absicht sieht,
herrscht letztlich Einigkeit in weiter Runde:
"Gott liebt dich", lautet stets die frohe Kunde,
"und wacht, daß dir kein ernstes Leid geschieht."

Wenn jeder Glaubensführer doch erkennte,
daß ihn vom andern nur ein Jota trennte,
daß Liebe stets das Ziel von Gottes Lehre!

Die Menschheit lebte wie im Paradiese:
in Frieden, Liebe, Eintracht, und es hieße:
"Und da ist nichts, worinnen Gott nicht wäre!"



14. Psalm

"Und da ist nichts, worinnen Gott nicht wäre!"
Spinoza, Schelling, Hegel sind's gewesen,
die Gott mit ihren Glaubensexegesen
herniederholten in die Erdensphäre:

erfreuliche, doch revolutionäre,
Franz von Assisi nah verwandte Thesen:
Man könne Gott aus allen Dingen lesen;
denn was er schuf, verkünde seine Lehre.

Du findest ihn im Buche der Natur:
in jedem kleinsten Tier, in Wald und Flur;
kein Blümchen, das dich nicht auf Gott verweist!

So einfach also wär' er aufzufinden.
Doch wir, kopflastig klügelnd, gleichen Blinden:
Seit Anbeginn der Menschheit sucht der Geist ...



Das Hohelied

Seit Anbeginn der Menschheit sucht der Geist,
die Wunder dieser Welt sich zu erklären.
Sind Götter irgendwo in höhern Sphären?
Und einer, den man als Gottvater preist?

Stimmt's mild ihn, wenn man Opfer ihm erweist?
Wird auf Gebete hin er Gunst gewähren? -
Er bleibt im Vagen und Imaginären,
wie eifrig Menschensinn auch um ihn kreist.

Bis heut' hat ihn die Forschung nicht gefunden.
So mancher leugnet ihn auch unumwunden:
Da sei kein Gott, nur trostlos-schwarze Leere -

indes ein andrer gläubig niederkniet
zu dem jahrtausendalten Hohelied:
"Und da ist nichts, worinnen Gott nicht wäre!"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 11.09.2010
Kategorie: Religion & Glauben

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