Auf-/zuklappen

Mein Freund, der Schorsch, der Quotenstar

SergeD. - August 2005

(Hinweis: Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Rundfunkanstalten
oder derzeit gerade laufenden Volksbelustigungen wäre rein zufällig!
)


Also mein Freund, der Schorsch - den kennen Sie bestimmt auch, ausm Fernsehn! - also der Schorsch ist ja eigentlich ein sogenannter Langzeitarbeitsloser. Jetzt sagen Sie vielleicht: "Aha, schön: Dann hat der quasi den ganzen Tag nix zu tun, so ohne Arbeit!?" Sehn Sie: Und da täuschen Sie sich aber sowas von gewaltig! Weil was der Schorsch im Streß ist, das können Sie sich überhaupt nicht vorstellen! Da jagt ein Angebot das andere! Und insofern ist der Schorsch ja auch heilfroh, daß er keine Arbeit hat, daß er vielmehr jede Menge Zeit zur Verfügung hat, weil sonst könnte er ja dieses ganze Heidengeld gar nicht verdienen, das ihm die quotengeilen Rundfunksender hinterherwerfen, sagt er selber.
Ja, aber was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte: Also über die meisten Sachen, die jetzt rauskommen, so Trittbrettfahrer, so Nachzügler, so billige Kopien, da kann ja der Schorsch nur noch müde lächeln! "Oh mei!", winkt er da nur ab, "oh mei...!" Das sind für ihn quasi Piehnatz, wie's heutzutage heißt, Kleinigkeiten sozusagen, Kinderkram! Kommt da jetzt nicht so ein bayerischer Rundfunksender auf die Idee, daß man sich eine Woche lang mit Handschellen an seine Schwiegermutter anketten lassen soll!? Eine Woche lang!? Sieben Tag!? Und noch dazu ganz ohne Kamera!? Also damit können Sie so einen wie den Schorsch schon lang nicht mehr hinter seinem nagelneuen Designerkachelofen hervorlocken! Weil, wie gesagt: Piehnatz! So etwas ist für einen Routinier, für einen Quotenstar wie den Schorsch doch keine Herausforderung mehr! So etwas ist für den ja geradezu schon lachhaft läppisch, abgrundtief unter seinem Niveau!
Der Schorsch hat doch bereits vor mehreren Jahren damit angefangen, ist sozusagen ein Mann der ersten Stunde! Das haben Sie damals bestimmt auch gesehen, im Fernsehn! Da hat er vor laufender Kamera für eine erkleckliche Summe mit einer eigens eingeflogenen nordamerikanischen Grizzlyfamilie neuneinhalb Wochen in so einem Wohn-Container verbracht. Wie gesagt: als Langzeitarbeitsloser hat der Schorsch eben die Zeit für solche Schnäppchen. Freilich gelten die nordamerikanischen Grizzlys als nicht besonders gastfreundlich, und es hat auch die ersten paar Wochen einige Reibereien gegeben... "Aber wo", hat der Schorsch danach in seinem Exklusivinterview gefragt - das Journal hat daraus übrigens eine monatelange Kolumne gestaltet -, "wo gibt es denn diese Spannungen nicht, wenn eine Großfamilie über längere Zeit auf engstem Raum zusammenlebt?" Er hat sich mit der Grizzlymutter öfters am Morgen um die Benutzung der Dusche gestritten, bis sie ihre gemeinsame Vorliebe für Shakespearezitate entdeckt haben, wenn Sie sich erinnern!
Ja, und nachdem dieses Container-Happening beim Publikum so phantastisch angekommen ist, hat der Schorsch sofort einen neuen Vertrag bekommen: diesmal für eine Dschungelexpedition. Nur hat er sich da schon wesentlich schwerer getan, weil die Besetzung vogelwild zusammengecastet worden war: Eine manisch-depressive Würgeschlange war diesmal dabei, eine bulimische Kakerlakengruppe, ein streng monogames Sumpfkrokodil, ein swingerndes Ratten-Liebespärchen, ein paar ausrangierte deutsche Schauspieler und ein tibetanischer Termitenhügel. Das gab natürlich die ersten Wochen wieder jede Menge Zündstoff in Form von sozialen Konflikten! Die Einschaltquoten sind quasi explodiert, anfangs. Allerdings hat sich nach einem Dreivierteljahr dann doch ein bißchen Dschungelroutine eingeschlichen, sprich: ein paar hunderttausend Fernsehzuschauer sind heimlich abgewandert, hinüber zu einem anderen Sender, wo - in dem inzwischen dorthin verkauften Container von damals - vor laufender Kamera möglichst rasch und effektiv ein Kind gezeugt werden sollte - welchen Geschlechtes, war großzügigerweise egal: die erste Frühgeburt hat dann einfach den Preis gewonnen. Wie das halt so ist im Leben: Die Konkurrenz schläft nicht! Freilich hätte der Schorsch auch eine Einladung in seinen guten alten Container gehabt, aber sogar ein Publikumsliebling und Quotengarant wie der Schorsch kann nicht an zwei Orten zugleich sein! Nicht daß ihm das zu intim gewesen wäre, so vor laufender Kamera...! Nein, solche Hemmungen hat er schon lange nicht mehr, sagt der Schorsch. Kann er sich ja auch gar nicht leisten: schließlich hat er den Hartz-Vier-Antrag ausfüllen müssen. Und wer das hinter sich gebracht hat, der stellt sich auch problemlos nackig und in den allerintimsten Situationen vor eine Kamera und lächelt da nur noch drüber.
Das Nachfolgeprojekt z.B. beim Schorsch war, daß man ihm eine Mini-Kamera im Klo installiert hat, direkt in die Schüssel hinein. Eine völlig neue Idee aus einer völlig neuen Perspektive! Ein Mega-Hit! Ein besserer Straßenfeger als jeder Edgar Wallace seinerzeit! Sie haben es bestimmt auch angeschaut, zumindest ein paarmal! Geradezu phänomenal waren ja die beiden Wochen, in denen der Schorsch diese Darmgrippe hatte: Da sind ja manche Zuschauer nachweislich rund um die Uhr vor dem Fernseher gesessen und haben sich schiefgelacht! Seitdem arbeitet dieser eine Sender fieberhaft an der Erfindung des Geruchsfernsehens! Damit wäre er wieder konkurrenzlos - auf kurze Zeit zumindest - und hätte das Publikum wieder exklusiv für sich. Ja, was tut man nicht alles, nur um die Zuschauer zu unterhalten!?
Einmal freilich, da hat es den Schorsch ganz schön böse erwischt! Da war er hinterher fertig mit der Welt! Das war diese eine Staffel mit den Haustieren dabei im Container! Sie haben das bestimmt auch interessiert angesehn, wie jeder wahre Tierfreund! Jedenfalls hat sich bei der Gelegenheit der Schorsch Hals über Kopf und quasi rettungslos in diese schwarzäugige, langwimprige Colliehündin verliebt. Jetzt erinnern Sie sich, gell!? Obwohl hinter ihm doch eigentlich diese abgetakelte Trapezkünstlerin her war. Die Blonde, die großbusige! Ja, genau die! Aber der Schorsch hat nur noch Augen gehabt für seine Lassie. Ja, und dann mußte er schmählich mitansehen, wie sie ihn vor laufender Kamera mit diesem grobschlächtigen Dobermann betrügt, der Shakespeare nicht einmal dem Namen nach gekannt hat! Sie, das hat dem Schorsch seelisch einen Knacks versetzt! Und ihn den ersten Preis gekostet! Einige Zuschauer haben ihn zwar aus Mitleid noch weiter gewählt und ihm auch besonders herzliche und tröstende Fänpost geschickt, aber er war eben für die letzten vierzehn Tage der Staffel nicht mehr in seiner Normalform... Schad, ewig schad!
Freilich ist der Schorsch da inzwischen drüber weg! Soviel Profi ist er mittlerweile! Er hat ja auch schon wieder eine solche Menge neuer Angebote, daß er gar nicht weiß, welches er zuerst annehmen soll. Es ist in der Tat erstaunlich, was das Publikum so alles sehn will! Sie würden das nicht für möglich halten! Sex pur allerdings ist dabei längst schon auf dem absteigenden Ast; damit ist der Markt inzwischen quasi gesättigt. Nicht einmal Sodomie zieht mehr so gut wie am Anfang! Nein: der aktuelle Trend geht in Richtung Sado-Maso und Verstümmelungen: das sehen die Leute noch so richtig gern. Weil man da ja oft auch noch etwas für sich selber dazulernen kann, für den eigenen Hausgebrauch sozusagen. Zum Beispiel, wie man am geschicktesten einen Kleinkinderschädel in einen Blumentopf einpflanzt... Ja, man verbindet neuerdings gewissermaßen dieses urwüchsige Container-Happening mit einer populärwissenschaftlichen Dokumentation - so nach Art von der Sendung mit der Maus! -, und dazu kommt dann noch ein Schuß "Wetten-daß". Klar: da liegt der Erfolg auf der Hand, das sieht doch sogar der Dümmste, sogar einer, der von Medien und Quoten und Dämonskopie null Ahnung hat! Damit ist ja im Prinzip jedwedes Publikum angesprochen, wie breitgetreten es auch immer sein mag: vom nervenkitzelsuchenden Zocker über den Samstagabend-Durchschnittslustmolch bis hin zur wissenschaftlich ambitionierten Jungakademikerin - Hausfrauen und Kinder ja sowieso! Letzte Woche z.B. hat der Schorsch ein finanziell höchst verlockendes Angebot bekommen zu einem brandneuen Projekt - die Idee ist freilich noch ganz geheim! -, bei dem auch gewettet wird. Der Schiedsrichter kommt aus dem Profi-Fußballbereich. Und alles an einem einzigen Abend zu erledigen! Ein Irrsinns-Stundenlohn für den Schorsch, wenn man das einmal umrechnet! Damit toppt er sogar den Gottschalk, glauben Sie's mir! Da sieht man eben, was diese Rundfunksender für ein Geld haben! Und vor allem: wofür!
Also er, der Schorsch, müßte dabei lediglich live vor der Kamera und dem Saal-Publikum drei mit Handschellen aneinandergekettete, zuvor unter Aufsicht eines Notars geblendete Teenagerinnen vergewaltigen - die jeweils Haupt-, Realschul- oder Gymnasialabschluß haben - wegen dem Pisa-Test, der währenddessen an ihnen durchgeführt wird. Und ein Prominenter aus dem Bereich Politik, Wirtschaft oder Kultur wettet dann, daß diejenige darunter, die zuvor noch Jungfrau war - das wird von der Frau Dr. Schaffer-Kuhnemann und dem Saal-Kandidaten zuvor nachgeprüft und attestiert - daß also die anschließend nicht errät, wer der Hauptsponsor der Sendung ist. Sie, ich tippe da auf eine Einschaltquote von locker 85 bis 90 Prozent! Das wird DER Renner! Da hängt ganz Deutschland vor der Glotze, das garantiere ich Ihnen! Nein, im Grunde kann der Schorsch so ein Millionen-Angebot gar nicht ausschlagen. Das täten Sie doch auch nicht, oder? Da wären Sie ja blöd.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 24.08.2005
Kategorie: Satire & Parodie

Link zum Gedicht

Das Reimlexikon der Lyrikecke

Träumst Du davon selbst eigene Gedichte, Song-Texte oder Raps zu verfassen, aber Dir fallen keine passenden Reime ein?

Das Reimlexikon der Lyrikecke hilft Dir beim Reimen - schnell und kostenlos.


Theorie des Schreibens


Lyrikecke bei Facebook
Lyrikecke bei Facebook