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Der Rundweg um den See

SergeD. - August 2007

"Betreten", warnt ein großes Schild am Steg,
"auf eigene Gefahr!" Und wo der Weg
beginnt, steht eine alte Waldkapelle.
"Frisch auf!", grüßt eine schillernde Libelle
und Fischlein tummeln sich im klaren Naß
des seichten Sees. Doch wandert man fürbaß,
gewinnt er schon an Tiefe, scheint zum Baden
die Kinder und zum Plantschen einzuladen.
Noch immer kann bis weit hinein man steh'n,
den Boden und die Fische ringsum seh'n.
Ein Stückchen weiter - und nur Köpfe recken
sich aus dem Wasser noch. Teenager necken
einander: Mädchen kreischen auf der Flucht,
wenn ein Jung-Neptun sie zu haschen sucht.
Ein Paar Erwachs'ner weiter drin schwimmt leise,
bedächtig und in Eintracht seine Kreise.


Mein Weg, den See entlang am Uferrand,
wird finst'rer, führt in dichten Baumbestand,
führt aufwärts bald, bald muß ich abwärtssteigen.
Still liegt der See in mittäglichem Schweigen.
Als plötzlich tief im Wald ein Vogel schreit,
bemerk' ich erstmals meine Einsamkeit.
Die Menschen, die beim Aufbruch mich umgaben,
dicht, lärmend, müssen sich verlaufen haben,
auf and're Wege abgebogen sein.
Fast scheint's, der Weg gehör' nur mir allein.
Da öffnet sich das Schilf an einer Stelle.
Ich bleibe steh'n und sehe die Kapelle
am Ufer gegenüber, weit zurück.
Liegt hinter mir schon solch ein großes Stück?


Ein Schwanenelternpaar läßt seinen braunen,
noch menschenscheuen Nachwuchs mich bestaunen.
Ich gratulier' und tröste es schon leis.
Nur zu rasch werden Schwänchen groß und weiß
und fliegen fort, ein eig'nes Nest zu gründen.
Was hilft's? Man hat damit sich abzufinden ...
Ist hier der Wald zu Ende? Nein, nur Trug:
Quer eine Schneise, die ein Sturm einst schlug.
Übereinander, wie sie hingepurzelt,
Baumstämme rechts des Weges, tot, entwurzelt.
Hab ich die Bänkchen überseh'n vorher?
Werd' ich schon müder oder sie nun mehr?
Auf einem mach' ich Rast, dem stillen Rauschen
des nahen Waldbachwasserfalls zu lauschen,
des klares Naß - eiskalt, wie sich erweist -
den See wohl schon seit Urvorzeiten speist.


Kein Trug diesmal: der Wald war eben dichter,
der Weg wird flacher und die Stämme lichter.
Ich staun', als ich hinaus ins Freie tret',
ins Feld, wie tief bereits die Sonne steht.
Und ich erkenn', frei blickend, ungeblendet,
wie nah mein Ziel, wie bald der Rundweg endet.
Willkomm'ner Trost für meine müden Glieder,
grüßt, gar nicht fern, mich das Kapellchen wieder -
und leider auch der Rummel; kein Genuß!
Laut lärmend pfercht in einen Reisebus
ein Führer eine Gruppe alter Leute:
Genug geseh'n, genug erlebt für heute!
Einsteigen, Türen zu! Der Fahrer blinkt.
Wohin er seine graue Fracht wohl bringt?


Und morgen? Wer beginnt zu früher Stunde
am Steg wohl morgen seine Wanderrunde
"auf eigene Gefahr" um diesen See,
der tief und ruhig wie seit eh und je
da liegt und ewig bleibt, indes ich geh'?

Die Sonne schwindet. Tut der Abschied weh?
Sieht meine Spur man noch? Nein, nichts. Ade!





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 16.07.2013
Kategorie: Nachdenkliches

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