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Das Lebens-Lesens-Paradox

SergeD. - November 2012

Ach, was muß man in der bösen
Schulzeit nicht so alles lesen!
Dramen und Romane, diesen
Schiller, Brecht und wie sie hießen,
dicke Wälzer, die für Stunden
einen an das Haus gebunden,
während drauß die Sonne lachte
und man an ganz and'res dachte.
Jeder Schüler, insofern
es ihm Zeit raubt, liest nicht gern.

Erst nach Jahren wird er schlauer,
und was damals ihn höchst sauer
ankam, Buch, Theaterstück:
heute greift er drauf zurück.
Denn gar manches hat trotz allen
Lesezwangs ihm doch gefallen,
gleich, wie ungern er's gelesen
damals, als er dumm gewesen.
Ja sogar die paar Gedichte
sieht er heut' in and'rem Lichte,
die er einst sich einzudrillen
hatte. An den Widerwillen
denkt er lächelnd heute noch.
Und behalten hat er doch
im Gedächtnis diese Zeilen!
Soll die Zeit nicht Wunden heilen?
Warum hat sie nicht entfernt,
was so ungern er gelernt?

Jetzt, erwachsen, liest er gerne:
sei es Klassik, sei's Moderne,
schnuppert gerne 'rein bei allen.
Freilich: ob sie ihm gefallen,
steht auf einem andern Blatt.
Mancher neue Autor hat
ihn auch schon enttäuscht. Und doch:
gerne liest er immer noch;
hat ein Buch auch gern gelesen,
wenn er dann enttäuscht gewesen:
Daß es sein Geschmack nicht wär',
wußte er ja nicht vorher.

Seltsam ist der Lauf der Welt:
Ungern liest, was doch gefällt,
man als Schüler, später dann
gern, was auch mißfallen kann.
Ist das paradox? Nur scheinbar;
denn in Wahrheit gut vereinbar:
Ob man etwas gerne liest
oder was man liest, genießt,
das hat miteinander eben
nie zu tun gehabt im Leben.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 01.12.2012
Kategorie: Sinnloses & Nonsense

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