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Die Zigeuner

SergeD. - April 2006

Noch heut' seh ich am Strand die Feuerstelle,
wo die Zigeuner saßen jene Nacht,
und nicht die Zeit hat - noch so manche Welle -
den Garaus der Erinn'rung dran gemacht.


Vormittags Schüler, nachmittags ein Streuner
am Strand stets, Abenteuer nur im Sinn,
hört' eines Tages ich: "Dort sind Zigeuner
seit gestern! Also geh heut' ja nicht hin!"

Natürlich blieb ich folgsam fern den Fremden:
indianermäßig hinter einem Strauch,
sah ich sie an in ihren bunten Hemden:
sie lachten, kochten, sangen. Tanzten auch!

Was für beneidenswert lustige Leute!
Ich konnte meine Mutter nicht verstehn:
Warum sprach sie von "nichtsnutziger Meute"?
Warum ließ sie mich nicht zu ihnen gehn?

"Sobald Zigeuner da sind, gibt es immer
nur Ärger! Das sind Fremde, vogelfrei!
Betrüger, Diebe - oder gar noch schlimmer!
Die holt bestimmt schon bald die Polizei!"

Am Abend saßen wieder sie ums Feuer
und ich lag wieder spähend auf dem Bauch,
bezwang kaum meine Lust auf Abenteuer,
gebannt für Stunden hinter meinen Strauch.

"Nun wird doch endlich etwas unternommen,
hab' ich gehört. Die ganze Stadt ist froh!
Dem Kaufmann ist schon Ware weggekommen!
Man kann sich denken, wer die hat und wo!"

Am Abend tanzten die Zigeuner wieder -
als wäre ihr Gewissen völlig rein! -
und aßen, tranken, sangen ihre Lieder:
Das sollten Diebe und noch Schlimm'res sein?

"Der Bürgermeister sagt, ihm sei'n die Hände
gebunden. Er bedau're selbst das sehr!
Doch heut' nacht wird dem Treiben dort ein Ende
gesetzt, so heißt's, von uns'rer Bürgerwehr!"

Ja, ich gesteh's: ich habe sie verpfiffen
an jenem Abend, uns're Bürgerwehr!
Doch eh mich die Zigeuner noch begriffen,
erstaunt, marschierte sie auch schon daher.

Die halbe Stadt, kampftaugliche Geräte
geschultert, zog entschlossen Richtung Strand -
mein Lehrer auch! Kaum daß er mich erspähte,
spürt' am Schlafittchen ich schon seine Hand.

"Was machst denn du hier? Ist ja nicht zu fassen!
Bei den Zigeunern!? Geh sofort nachhaus!" -
"Bring du ihn heim! Wir woll'n uns drauf verlassen,
daß er nichts sieht. Wir räuchern jetzt hier aus."


Noch heut' seh ich am Strand die Feuerstelle,
wo die Zigeuner saßen jene Nacht.
Doch wie ein Grab schweigt jede Auskunftsquelle:
Nie hörte ich, wohin man sie gebracht.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 15.05.2006
Kategorie: Nachdenkliches

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