Porträt einer Hure

Porträt einer Hure

(mit Dank für die Inspiration GerryG gewidmet)


Und wieder schaut er sie so seltsam an...
Vielleicht war es ein Fehler, mitzugehen?
So sonderbar wie der sie angesehen -
schon auf der Straße - hat sie noch kein Mann!

Egal, was soll's?! Sie braucht nun mal das Geld!
Es ist ihr Job, seit Jahren, das zu machen -
und gegen Aufpreis auch verrückte Sachen -,
was ihren Kunden jeweils so gefällt.

Und mittlerweile hat sie einen Blick
für Männer, kann sie nichts mehr überraschen.
Doch dieser Typ will nicht sie nur vernaschen;
der will was and'res als 'nen schnellen F¡ck...

Nun ja, mal seh'n... Solang er dafür blecht...
Sie nennt ihm nochmals ihre Konditionen.
Er hört kaum hin, doch seine Augen schonen
sie kein Sekündchen. "Ja", raunt er, "schon recht..."

Verdammt, hat sie denn etwas im Gesicht?
Sein Blick macht sie nervös. Kaum auszuhalten!
Ja, mittlerweile hat sie ein, zwei Falten,
die übertüncht selbst dickste Schminke nicht...

Zwei Stunden hat im Voraus er bezahlt:
will er die ganze Zeit sie nur begaffen?
Da endlich scheint er doch sich aufzuraffen!
Leis' fragt er: "Hat dich schon 'mal wer gemalt?"

"Nö", gibt sie überrumpelt zu, "noch nie.
'Ne Superschönheit war ich nie, das weiß ich -
nicht früher und nicht heut', mit dreiunddreißig..."
(in Wahrheit vierzig - doch das weiß nur sie)

"Setzt du dich bitte in den Sessel dort? -
Und hier: Wisch dir die Schminke von der Backe!"
Sie hatt's geahnt: der Typ hat echt 'ne Macke!
Trotzdem gehorcht sie ihm und sagt kein Wort.

Als sie sich, wie gewöhnlich, auszieh'n will,
meint er, das könne sie für ihn sich sparen.
Sie stutzt: Na, also das ist ihr seit Jahren
nicht mehr passiert! Er raunt: "Sitz einfach still!"

"Moment 'mal! Sag mir wenigstens den Grund,
warum grad ich..." Der Typ macht sie ganz kirre.
Er lächelt sanft: "Du hast solch eine irre
Melancholie im Blick und um den Mund."

Melancholie?! Was weiß der Idiot?!
Was weiß der Kerl vom wahren, harten Leben?!
Von Einsamkeit, tief wie die ihre eben,
vom Strampeln, Kämpfen um sein täglich Brot?!

Bei solchen Sprüchen kriegt sie so 'nen Hals!
Wie ihr zumute ist, geht schließlich keinen
was an! - Guck nicht so blöd! - Ihr ist zum Weinen.
Doch freilich: weinen wird sie keinesfalls!

"Und außerdem... - Was ist? Entspann dich, komm! -
Und außerdem hast du in deinen Zügen
ein Etwas, so als könntest du nicht lügen,
als wär' dein Herz sehr kindlich noch, ja fromm..."

"Mußt du beim Malen quatschen unbedingt?"
Der Dreckskerl will sie bloß zum Weinen bringen!
Nee, du! Das wird dir aber nicht gelingen!
Gibt keinen Mann, der mich zum Weinen bringt!

"Nein, muß ich nicht. Ich hör auch gerne zu.
Nur: wenn wir beide schweigen, wird es öde.
Solang ich nicht bei deinem Mund bin, rede
dann also, wenn du möchtest, eben du!"

Hä?! Hat sie sich jetzt selber ausgetrickst?
Sie hat doch gar nicht selber quatschen wollen!
Verdammt! Sie hätt' ihn reden lassen sollen!
Jetzt hat den Schwarzen Peter sie, verflixt!

"Tja, ich..." - "Hey, zieh nicht so die Stirne kraus!" -
"Entschuldigung..." Sie konnte nie Geschichten
erfinden. So beginnt sie zu berichten
von sich: erst zag, dann sprudelt es heraus.

Denn sie bemerkt, wie ihr mit jedem Wort
ein wenig leichter wird. Ihr zuzuhören
scheint ihn bei seiner Arbeit nicht zu stören:
er malt an seinem Bildchen eifrig fort.

Auch sie malt Bilder: Bilder voller Leid.
Wie erst ihr Pa, dann Männer sie geschlagen,
erzählt ihr ganzes Leben sozusagen
zurück bis zur noch heilen Kinderzeit.

Erzählt von jenem Einen, den es gab,
für den sie sich vierteilen lassen hätte -
und der sie sitzenließ dann mit Anette,
die jeden Sonntag sie besucht am Grab.

Und endlich läßt sie ihnen freien Lauf,
den Tränen, den seit Jahren angestauten:
sie kann nicht anders. Da, nach einem lauten
Geschneuz von ihr, hört er zu pinseln auf.

"Jetzt ist es fertig, schau!" Er lächelt mild.
Doch erst blickt sie zur Uhr: Mein Gott! Vier Stunden
sind beim Erzählen wie im Flug entschwunden...
Und dann sieht sie von sich - ein Heiligenbild.