Auf-/zuklappen

Der Vater aller Dinge

SergeD. - Am dritten Advent im Weltkriegsgedenkjahr 2014

Der Vater aller Dinge

Ein Kranz gegen den Krieg


I

Daß Krieg der Vater sei von allen Dingen,
hat Heraklit, "der Düstere", pointiert,
jedoch nicht eben glücklich formuliert.
Er wollte wohl damit zum Ausdruck bringen,

daß Gegensätze miteinander ringen,
daß Neues nur der Widerstreit gebiert,
indes einander Gleiches stets stagniert.
Sein Ausspruch freilich mag prägnanter klingen.

Nur ist er leider auch leicht fehlzudeuten
und diente seit der Zeit all jenen Leuten,
die Krieg anzetteln wollten, zur Gewähr.

Drum, wenn man auf die Weltgeschichte sieht
und deinen Vater-Kriegs-Satz, Heraklit:
Den Ausspruch gutzuheißen fällt mir schwer.



II

Den Ausspruch gutzuheißen fällt mir schwer,
der Krieg sei eine Art Diplomatie
mit andern Mitteln. Reden schadet nie;
hingegen schadet meistens ein Gewehr.

Ein Armutszeugnis, daß sie sich nicht mehr
zu helfen wissen, ist der Krieg für sie,
die Diplomaten! Lösungsstrategie
im Zweifelsfall ist sicher nicht das Heer!

Gebraucht vorm Kriegserklären den Verstand!
Und faselt nicht von "Pflicht" und "Vaterland"!
Die Phrase ist so alt wie hohl und leer.

Und dennoch läßt das Volk stets neu sich blenden,
vom Vaterland ins Massengrab sich senden.
Was ist dran Väterliches, bitte sehr?



III

Was ist dran Väterliches, bitte sehr,
wenn "Landesväter" ihre Untertanen
mit Waffen ausstaffieren und mit Fahnen?
Wie paßt zum Ausdruck "Vater" Militär?

Im Gegenteil: höchst unfamiliär
und lieblos handeln die, die Kriege planen:
Um selbst als Sieger kräftig abzusahnen,
verheizen sie der Landeskinder Heer.

Sie opfern ganze Völker unverfroren –
und bleiben selber meistens ungeschoren.

Ihr Landeskinder, habt ihr je bedacht,
wie's wäre, wenn statt eurer in die Schlacht
nur euer "Vater" und der andre gingen,
einander gegenseitig umzubringen?!



IV

Einander gegenseitig umzubringen,
ist Menschenbrauch. Und Menschenbrauch allein!
Kein Tier will seinesgleichen Mörder sein,
ein andres Tier derselben Art verschlingen.

Nur die angeblich Gottes Hauch empfingen,
Verstand und Seele haben, kennen kein
Pardon und hauen aufeinander ein,
seit sie erlernten, Stein und Beil zu schwingen.

Der Grund dafür? Seit eh und je der gleiche:
Macht- und Besitzgier. Länderweite Reiche
verlieh und nahm manch blutgetränktes Ringen.

Doch ob man Land erobert, ob behält,
ob ihr Land in die Hand des Feindes fällt:
Was nützt es denen, die zugrunde gingen?



V

Was nützt es denen, die zugrunde gingen,
daß jenes Feld das "Feld der Ehre" heißt,
auf dem ihr Leichnam Wolf und Krähen speist?
Ob sie wohl diese Ehre gern empfingen

und weniger an ihrem Leben hingen?
Klingt ihren Hinterbliebenen nicht meist
der Ehrbegriff im Nachhinein als dreist
erlogen? Wie auch könnt' er anders klingen?!

Ist Trost er für die Mutter, deren Sohn
auf diesem Feld blieb, oder eher Hohn?
Die Braut zerreißt den Brief mit Trauerrand,
in dem von ihres Liebsten Ehre stand.

Und die Geehrten hören es nicht mehr,
nennt Helden sie ihr Vaterland nachher.



VI

Nennt Helden sie ihr Vaterland nachher,
die Söhne, die es ins Verderben hetzte,
ist dieser Dank und Ruhm oft nicht der letzte,
der Kelch mit ihrem Blut noch nicht ganz leer.

Den Heldentod hält bald schon irgendwer
für würdig, daß man ihm ein Denkmal setzte.
Je mehr es – und je schlimmer sie's – zerfetzte,
verkauft auch der Bericht sich desto mehr.

Das erste Epos, Buch des Abendlandes:
anläßlich von zehn Jahren Krieg entstand es.
Zwar liest heut' freilich niemand mehr Homer ...

Auf Desktops aber und im Fernseh'n flimmern
Kriegsheldenhorden heut' in Kinderzimmern:
Schon Kinder ruft und zieht es ans Gewehr.



VII

Schon Kinder ruft und zieht es ans Gewehr.
Die Silberbüchse Winnetous gefiele
doch allen! Cowboy- und Indianerspiele
begeisterten bereits Uropa sehr.

Heut' freilich muß dafür ein Gameboy her!
Ob Hühner, Marsbewohner, Krokodile,
Ausländer oder Penner dort als Ziele
fungieren, unterscheidet niemand mehr.

Hier kannst du ballernd deine Macht entfalten!
Auf geht's! Wer hat die meisten Abgeknallten?
Lern spielend, deine Gegner umzubringen!

Und sind sie alle tot, bist du der Held –
und lernst zugleich für die reale Welt:
Geschichte wird gemacht durch Waffenschwingen!



VIII

Geschichte wird gemacht durch Waffenschwingen,
nicht etwa durch Erfindungen zum Heil
der Menschheit. Die verkehrt ins Gegenteil
sofort ein Hirn: "Es müßte doch gelingen,

mit Nützlichem auch Menschen umzubringen!"
Als Arbeitswerkzeug war gedacht das Beil,
für lauten Knall der Colt, zur Jagd der Pfeil,
zum Fleischzerschneiden scharfe Messerklingen.

Und eigentlich auch dachte man an Strom-
gewinnung bei der Forschung am Atom …

Welch Segen neu Erfund'nes immer scheint:
der Mensch wird's prompt in einen Fluch verkehren.
Will etwa das der Vater-Kriegs-Satz lehren?
Nein, so hat Heraklit es nicht gemeint.



IX

Nein, so hat Heraklit es nicht gemeint:
daß man vor jeder Schöpfung erst einmal
das Alte tilgen müsse radikal.
Fortschritt ergibt – nach Hegel – sich vereint

aus dem, was ist, und dem, was dies verneint.
Von Null beginnen muß, wer alles kahl-
geschlagen hat und Krieg geführt "total" –
was dank den Waffen heut' zwangsläufig scheint.

Schon Einstein sagte, daß nach Weltkrieg Drei
die Welt im Steinzeitzustand wieder sei,
die Fortschrittsuhr auf Null zurückgedreht.

Darum, die ihr der Menschheit Schicksal lenkt,
den Finger habt am Abschußknopf, bedenkt,
wie ihr das Wort vom "Vater Krieg" versteht!



X

Wie ihr das Wort vom "Vater Krieg" versteht,
bliebt, Menschen, über Tausende von Jahren
im Grund ihr keulenschwingende Barbaren.
Und euch befreit von Schuld auch kein Gebet,

wenn ihr, wie Kain einst, Brudermord begeht.
Wann endlich habt ihr Leid genug erfahren,
um Kriege euch für immer zu ersparen?!
Ist einzig Kampf, worum die Welt sich dreht?

Ihr könnt die Erde ein paar hundertmal
zerstören, soviel Waffenpotential
besitzt ihr. Weh, wohin seid ihr geraten!?

Die Mutter aller Dinge ist der Frieden –
ward diese Einsicht euch noch nie beschieden,
ihr ewig weltmachtgeilen Potentaten?!



XI

Ihr ewig weltmachtgeilen Potentaten
braucht nicht, wie früher, einen Königsthron.
Heut' reicht euch ein Direktorsessel schon.
Denn ihr, die Wirtschafts- und Finanzmagnaten,

zieht heut' die Fäden in den meisten Staaten
und die Regierung steht bei euch im Lohn.
Trotzdem seid – das gehört zum guten Ton –
ihr freilich lupenreine Demokraten!

Doch seid ihr wo auf Bodenschätze scharf,
auf Absatzmärkte, Handelswege, dann
besteht dort plötzlich Sicherheitsbedarf:
Flugs rückt die nationale Streitkraft an.

Macht habt ihr – nur nicht, die die größte scheint:
Macht - - -, daß nie wieder eine Mutter weint!



XII

Macht, daß nie wieder eine Mutter weint,
ihr Herrscher mit und ohne Portepee!
Denn Söhne werden nicht für die Armee
geboren, wenn auch ihr vielleicht das meint.

Vor Schmerz ob ihrer Kinder Tod versteint,
fortweinend noch als Fels, ist Niobe.
Was aber fragt ihr nach der Mütter Weh?!
Euch fürchten sie nicht minder als den Feind.

Du, Kriegsherr, sei versichert, daß sie nicht
ein "Mutterkreuz" aus deiner Hand besticht!
Der Fluch auf dich ist fortan ihr Gebet.

Nein, Frauen halten nicht sehr viel von Kriegen.
Nach ihrer Meinung sollte dir obliegen,
daß nie ans Grab die Braut zum Liebsten geht.



XIII

Daß nie ans Grab die Braut zum Liebsten geht,
kann zwar Verzicht auf Krieg nicht ganz verhindern,
doch würd' er die Gefahr erheblich mindern.
Indes, solang die Erde nun besteht:

sie war noch nie ein friedlicher Planet.
Ein Potential steckt in uns Menschenkindern
zu Mördern und Mordhandwerkszeugserfindern,
das sich spiralenartig aufwärtsdreht:

Von Stein und Pfeil zu Giftgas und Granaten,
bis hin zum ferngelenkten Overkill:
die Technik geht, so weit der Mensch es will.
Ist da ihm noch zu helfen und zu raten?

Die schwang're Braut am Grab nur betet still:
"Laßt Männer Väter werden, nicht Soldaten!"



XIV

Laßt Männer Väter werden, nicht Soldaten –
und Frauen Mütter! Aber die – oh nein! –,
um "trendy", "cool" und "gleichgestellt" zu sein,
trainieren ebenfalls jetzt mit Granaten

und sind drauf wild, im Feindesblut zu waten.
Damit emanzipiert ihr euch?! Na fein!
Ihr tretet damit für den Frieden ein?!
Ja, klar: wie das seit jeher alle taten!

Denn schuld am Krieg war immer schon der Feind,
und mit dem Krieg der Frieden nur gemeint!
Für ihn nur gilt's, die Bösen umzubringen!

Und allzeit laßt ihr den Verstand euch rauben
von machtbesess'nen Predigern, die glauben,
daß Krieg der Vater sei von allen Dingen.



XV

Daß Krieg der Vater sei von allen Dingen,
den Ausspruch gutzuheißen fällt mir schwer.
Was ist dran Väterliches, bitte sehr,
einander gegenseitig umzubringen?

Was nützt es denen, die zugrunde gingen,
nennt Helden sie ihr Vaterland nachher?
Schon Kinder ruft und zieht es ans Gewehr.
Geschichte wird gemacht durch Waffenschwingen.

Nein, so hat Heraklit es nicht gemeint,
wie ihr das Wort vom "Vater Krieg" versteht,
ihr ewig weltmachtgeilen Potentaten!

Macht, daß nie wieder eine Mutter weint,
daß nie ans Grab die Braut zum Liebsten geht.
Laßt Männer Väter werden, nicht Soldaten!





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 15.12.2014
Kategorie: Nachdenkliches

Link zum Gedicht

Das Reimlexikon der Lyrikecke

Träumst Du davon selbst eigene Gedichte, Song-Texte oder Raps zu verfassen, aber Dir fallen keine passenden Reime ein?

Das Reimlexikon der Lyrikecke hilft Dir beim Reimen - schnell und kostenlos.


Theorie des Schreibens


Lyrikecke bei Facebook
Lyrikecke bei Facebook