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Weihnacht in der Wärmestube

SergeD. - Dezember 2005

Ja, man sieht alle Jahre sich wieder -
es fehlt nur, wer im Knast grade beizt
oder starb - und wärmt hier sich die Glieder,
denn das Stübchen ist wohlig geheizt.

Es sind immer dieselben Gesichter;
keiner hat es inzwischen geschafft.
Wie denn auch?! Sie sind Abschaum, Gelichter:
ohne Geld, ohne Heim - ohne Kraft.

Heilig Abend kam also auch heuer!
Ihnen hier hilft das freilich nicht sehr...
Auf den Kerzen nur brennt noch ein Feuer,
doch im Herz ihnen längst schon nicht mehr.

Da ist Jule von unter der Brücke,
mit drei Tüten und filzigem Haar:
Ihr Gebiß besteht nur noch aus Lücke,
aber die wächst trotzdem Jahr für Jahr.

Da ist jedes Jahr wieder auch Jochen:
grad 'mal vierzig, doch hat irgendwann
in der Jugend er etwas verbrochen -
und seitdem stellt ihn keiner mehr an.

Da ist Charly, der ewige Säufer.
Der leert Bierflaschen in einem Zug!
Vor der Kündigung war er Verkäufer -
und davon gibt's heut' eben genug.

Da ist Einarm, der ält'ste im Bunde -
Kriegsversehrter, mit Orden sogar! -,
der es jedem erzählt in der Runde,
wie es damals in Stalingrad war.

Da ist Trixi, erst dreißig, die "Kleine",
die ihr liebender Vater verstieß,
weil sie ihn nicht mehr zwischen die Beine,
sondern jetzt einen Ausländer ließ.

Und noch and're gehören zum Grüppchen,
das alljährlich es Weihnacht hierher-
zieht; denn hier ist geheizt, gibt's ein Süppchen -
und natürlich: zuletzt erscheint Er!

Erscheint Er, ja!, der Herr Bürgermeister!
Hat für jeden ein kleines Präsent!
Und soziale Reformen verheißt er:
das Blabla, das ein jeder längst kennt.

Und er stellt sich glatt in ihre Mitte
und drückt Einarm fürs Foto die Hand!
Morgen steht's in der Zeitung: Na bitte,
man vergißt nicht die Ärmsten im Land!

Und weg ist er! - Sie selber indessen
wissen wohl, daß sie chancenlos sind.
Die Gesellschaft hat längst sie vergessen -
wie das heute geborene Kind.


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Allen LEsern ein besinnliches Weihnachtsfest wünscht

SergeD.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 20.12.2005
Kategorie: Feste & Feiertage

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