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Der moderne Ehrenmann

SergeD. - Juli 2005

Das sind sie alle: alle ehrenwert!
Shakespeare: Julius Cäsar, III,2


Keiner Schuld bewußt

Niemals! Ich bin entsetzt! Ich habe nie
auch das Geringste nur gewußt von diesen
Schmiergeldern, die da auf mein Konto fließen!
Sonst hätte ich doch protestiert! Und wie!

Ich bitte Sie, Herr Richter! Denken Sie,
ich sei bestechlich? Daß man solche Riesen-
beträge unverlangt mir überwiesen,
ist eine Frechheit, eine Perfidie!

Ich wollte stets und immer nur das Beste,
bin branchenweit bekannt als Ehrenmann:
untadelig, mit blütenweißer Weste!
Ich will doch meine Posten nicht verlieren!

Wo könnt' ich sonst so reichlich einkassieren -
und ohne daß man mir's beweisen kann!?



Einsichtsvoll und reumütig

Jawohl, ich geb' es zu! Ganz unumwunden!
Und es ist heute mir ganz unerklärlich,
wie ich das damals machen konnte! Ehrlich!
Erst recht jedoch, wie Sie's herausgefunden...

Nun, wer hat nicht so seine schwachen Stunden?!
Zur Rechenschaft zieh'n werden Sie mich schwerlich;
denn wie Sie wissen, bin ich unentbehrlich -
und außerdem eng mit Herrn X. verbunden...

Zu großes Aufseh'n sollten Sie vermeiden -
schon um sich nicht ins eig'ne Fleisch zu schneiden...
Versteh'n Sie, daß ich keine Namen nenne -
doch wenn Sie wüßten, wen ich alles kenne...
Und eine Krähe hackt der andern doch...

Seh'n wir uns nachmittags am Golfplatz noch?



Global Player

Weshalb die Deutschen uns Konzernchefs hassen,
ist mir ein Rätsel. Unsere Regierung
verlangt doch, daß bei der Globalisierung
wir mitzieh'n und den Anschluß nicht verpassen!

So hab' ich eben rigoros entlassen...
Das nennt der Fachmann: Rationalisierung.
Sie dient zum einen zu des Werks Sanierung
und füllt vor allem uns're Vorstandskassen.

Ich meine: das begreift doch jedes Kind,
daß wir die Produktion dorthin verlegen,
wo Arbeitskräfte noch spottbillig sind.
Das ist doch der Globalisierungs-Segen!

Der arbeitslose Plebs, der hier deswegen
aufheult, ist doch betriebswirtschaftlich blind!



Felsenfest etabliert

Da nennt mich nun mit seinem Hausverstand
der kleine Mann kalt, skrupellos, gerissen,
behauptet gar, ich hätte kein Gewissen
und sei mit schuld am Elend hier im Land.

Nur weil ich ein paar Möglichkeiten fand
zum Um- und Übergeh'n von Hindernissen...
Doch fühlt er noch so sich von mir beschummelt:
er frißt mir doch zwangsläufig aus der Hand!

Tja, kleiner Mann, da magst du noch so schrei'n
nach Anstand, nach Gerechtigkeit, Moral:
So ist's im Leben, auf der Welt nun 'mal,
daß manche groß sind und die andern klein...

Und du wirst selbst, als braver Bürger, fein
mich wiederwählen bei der nächsten Wahl!



Kulturell gebildet

Ich habe Schiller immer schon geschätzt!
Schon er erkannte, daß ein Volk von Sklaven
die Deutschen sind, ein Volk von Dämlich-Braven -
nachdem er sie erfolglos aufgehetzt.

Entmutigt hat ein Denkmal er gesetzt
den Obrigkeitsanbetern, treuen Schafen:
acht Wörter, die genau ins Schwarze trafen:
"Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt."

Dank dir, o Friedrich, der du uns belehrst,
uns Firmenchefs, uns Staats- und Ehrenmänner!
Denn wir gebrauchen, was du einst erkannt,
noch heut' und beuten fürstlich-arrogant
den braven Bürger aus als Schiller-Kenner:

"Der Ehrenmann denkt an sich selbst zuerst!"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 11.07.2005
Kategorie: Aktuelles & Zeitgeschehen

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