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Leergeschrieben

SergeD. - März 2013

Ein Dichter, der noch gar nicht so betagt ist,
stellt eines Tages mit Entsetzen fest,
daß alles nun von ihm bereits gesagt ist,
was unzensiert sich Leuten sagen läßt.

Er hatte zwar schon manche Schaffenskrise -
von der blieb selbst ein Rilke nicht verschont -,
doch keine hat sich angefühlt wie diese:
Daß gar nichts geht mehr, ist er nicht gewohnt.

Die Welt ist groß und bietet tausend Themen -
doch tausendeins schon hat er lyrisch nun
erledigt, selbst die kühnsten und extremen.
Zu allem ist sein Wort gesagt. Was tun?

Im Grunde ist er, zieht der Dichter schlüssig
Bilanz (und in den Hals steigt ihm ein Kloß),
für Publikum und Welt jetzt überflüssig:
ein leergeschrieb'ner Dichter nützt nicht groß.

Nie hätt' gedacht er, daß es 'mal so dick kommt,
nie alpgeträumt, er sänke 'mal so tief.
Doch Aussicht, daß thematisch noch ein Kick kommt,
besteht nicht mehr. Die Hoffnung wär' naiv.

Es fragt sich also nur noch, ob erschießen,
erhängen oder Sprung ins Todesnaß.
Wird wer auf seinem Grab die Blümchen gießen?
Die Nachwelt um ihn trauern leichenblaß?

Ja, wird er - darf er das zu hoffen wagen? -
als Marmorbüste einst vorm Rathaus steh'n?
Ein Platz, die Schule seinen Namen tragen?
Es heißen: "Goethe, Schiller lest und den!

Er war es, der für jeden Fall des Lebens,
zu Allem ein Gedicht geschrieben hat!
Ein Mann des Nach-dem-Absoluten-Strebens,
ein Geist von Welt, der größte Sohn der Stadt!"

Touristen wird man seine Zimmer zeigen,
den Schreibtisch und den Stift, mit dem er schrieb.
Sein Umsatz wird in die Millionen steigen! -
Und jeder ehrt, was in den Tod ihn trieb.

Wie schön, ach, wär' es, das noch zu erleben!
Doch leider schätzt die Welt den Dichter bloß,
nachdem er schon sein Dasein aufgegeben.
Fatal, ja tragisch ist das Dichterlos …

Halt! "Tragisch"?! Welch ein Stichwort! Ihm verbleiben
zwar keine Themen für Gedichte mehr -
doch könnt' er künftig ja Tragödien schreiben!
Habt Dank, ihr Götter! - Los, die Feder her!





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 12.03.2013
Kategorie: Humor

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