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Landshuter Poetikvorlesung

SergeD. - Januar 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Sie mich hier an das Rednerpult zerren,
wünschend, daß ich von der Dichterei
spreche, wie diese zu machen sei,
wie man aus etlichen Reimen schnell
sich bei Bedarf ein Gedicht erstell':
Lassen Sie mich Ihnen sagen: Nein,
Dichtung besteht nicht aus Reim allein!
Wär' es so, machte zum Dichter schon
Jeglichen ja ein Reim-Lexikon.

Was man zuallererst haben muß,
ist die Idee, ist der Musenkuß:
"Rem tene, verba sequentur", sprach
Cato zum Redner dereinst. Danach
richte sich auch der Dichter: Was
ganz genau möchte er sagen? Das
faß er ins Auge, so scharf er kann -
und dort behalte er stets es dann,
daß ihm der Kurs nicht verlorengeh',
schifft er hinaus auf den Wörtersee,
nicht da- und dorthin der Wind ihn treibe,
sondern er bei seinem Thema bleibe.

Ferner fürs Dicht-Kapitänspatent
(oder wie immer das Kind man nennt)
ist unabdingbar im Wogengewühl
wimmelnder Wörter ein Rhythmusgefühl:
Hören, ja spüren den Wellengang
muß er der Silben wie inneren Sang,
weil er in Seenot, ins Kentern gerät,
fehlt ihm die Sprachmusikalität.
Fühlt er in sich nicht den Rhythmus der Wellen,
wird quer zu ihnen sein Schifflein er stellen,
daß es empfindlichst knarzt in den Planken,
bis alle Leser ihm weg-ertranken,
von den umstürzenden Masten erschlagen:
Masten- durch Rhythmusbruch sozusagen.

Unbekannt scheint vielen Dichterlingen
heute, daß Lyrik als Lied, zum Singen
ursprünglich ja, als Musik entstand.
Heute scheint Wohlklang verpönt, verbannt.
Oder hat schlicht - das befürcht' ich - der
Dichter von heut' keine Ahnung mehr,
der uns Gehust um die Ohren haut
als hätt' er nie es gelesen laut.
Karl Valentin hätt' er lesen sollen:
"Kunst kommt von Können und nicht von Wollen!"

Schulen Sie Ihr Gehör, meine Damen
und Herren, an Schillers Blankvers-Dramen,
Schillers Balladen - und haben Sie ihn
intus, dann lesen Sie Hölderlin!
Freilich erzögen unendlich feiner
noch in der Metrik die alten Lateiner:
Rhythmusgefühl allerhöchsten Grads
läßt aus den Oden sich des Horaz
aneignen - sicherlich mühsam zwar,
doch ein Besitz dann auf immerdar.

Empfehlen auch möchte ich nicht zuletzt
den "Rasenden Roland", übersetzt
von einem der größten Sprachgenies
im Deutschen, von Johann Diederich Gries.
Unfehlbar werd' - wissen, die mich schon kennen -
auch jenen einen als Vorbild ich nennen,
welchem ein Lied schlief in allen Dingen,
welchem die Welt einst hub an zu singen,
wenn er sie weckte aus ihrem Schlaf,
er, der alleine das Zauberwort traf. -
Zwecks Ihrer Schulung des Wohlklangvernehmens
bedienen Sie sich der Gedichte Clemens
Brentanos ehe Sie dann zu den-
jenigen Rilkes übergehn!

Das sei zu mühsam, monieren Sie?
Zuviel Lektüre? Sie läsen nie?
Sie wollten nur doch Gedichte schreiben? -
Sehn Sie: Ich lasse das Schneidern bleiben,
weil ich nicht umgehn kann mit der Schere.
Tät' ich es einfach nun so, ohne Lehre:
was käm' dabei für ein Hemd wohl heraus?
Paßte es? Kaum! Und würd' gar aus dem Haus
ich mich damit und vor Publikum wagen?
Würden das Ding fremde Augen ertragen? -
Wenn ich auf einmal so schrecklich gern kochte,
freilich ein Kochbuch noch nie lesen mochte:
Glauben Sie, daß ich es instinktiv kann?
Äßen Sie gern, was ich auftischte dann? -
Oder wenn plötzlich die Lust mich befiele
und ich beschlöß, daß ich Geige spiele:
Ob ich da gleich auf belebtem Platze
hören mich lasse mit meinem Gekratze?
Würden die Leute mich eher wohl feiern
oder bewerfen mit faulen Eiern?

Warum, so frag ich Sie, sollte allein
Schreiben zu lernen nicht nötig sein!?
Ja, ich behaupte: es kann mitnichten
irgendwer schon in der Wiege dichten!
Sollte er aber die Dichtung lieben,
wird er sie mühsam studieren und üben.

Goethe sagt: Fleiß nur vielleicht sei Genie.
Wollen Sie schreiben? Dann lesen Sie!





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 18.08.2008
Kategorie: Aphorismen & Zitate

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