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Gottlose Christmette

SergeD. - Weihnachten 2011

Gottlose Christmette

(ein ungläubiger Sonettenkranz)


I

Die Stadt liegt still in tiefem Weihnachtsschweigen,
als fände sie, erschöpft, nach langer Zeit
der Hektik endlich nun Gelegenheit,
sich auszuruh'n. Den leeren Straßen zeigen

umsonst die Ampeln ihren Farbenreigen:
kein Auto, kein Passant mehr weit und breit.
Nur einer schlendert durch die Einsamkeit …
Nun ja: der war schon immer etwas eigen …

Wo will denn der noch hin? Zur Weihnachtsmette?
Was freilich keinen rechten Sinn mehr hätte;
denn die ist bald zu Ende. Oder flieht
der Kauz vor X-mas-shows und Star-Gefunkel?

Die Stadt ist mitternächtlich still und dunkel.
Nur aus dem hellen Dom klingt leis' ein Lied …



II

Nur aus dem hellen Dom klingt leis' ein Lied
klar durch die Nacht an jenes Kauzes Ohren,
ganz ungetrübt von Hupen und Motoren.
Wie schön doch Stille ist, wie exquisit!

Wie deutlich man die Kirchenfenster sieht!
Erinnerst du dich noch: "Welt ging verloren",
so ähnlich hieß der Text, "Christ ist geboren!"
Ist zwischen Einst und Heut' ein Unterschied?

Scheint nicht die Welt von heute eher schlimmer?
Der Mensch ist seinem Nächsten Wolf - noch immer.
Wie damals zählt auch heut' nur der Profit.
Die Botschaft Christi: schert sich jemand drum?
Was gilt - und wem? - das Evangelium?

Gilt's mir, der einsam durch die Gassen zieht?



III

Gilt's mir, der einsam durch die Gassen zieht,
dies feierliche nächtliche Geläute?
Weil ich nicht mitsing' in der großen Meute? -
War's nicht die Meute, die Ihn dann verriet,

sich für den Dieb und gegen Ihn entschied?
Verriete sie nicht ebenso Ihn heute?
Verrät sie - wenn die Welt ich richtig deute -
nicht täglich Ihn auf jeglichem Gebiet?

"Ihr könnt zugleich nicht Diener Gottes und
des Mammons sein!" Dies Wort aus Seinem Mund
brächt' viele, die dort singen, wohl zum Schweigen -
sofern sie es sich denn zu Herzen nähmen …

Doch soll ich mich an Heiligabend grämen?
Was such' ich? Gott? Mich? Schnee auf kahlen Zweigen?



IV

Was such' ich? Gott? Mich? Schnee auf kahlen Zweigen …
Selbst wenn ich rasch noch in die Mette ginge,
des Priesters Abschlußsegen noch empfinge:
würd' ich dadurch in Gottes Anseh'n steigen?

Ist Heucheln nicht die Haltung eines Feigen?
Wenn Gott denn ist, so will Er, daß ich ringe
mit Ihm, um Ihn, daß ich Ihn mir erzwinge;
dann läßt mich Er - Er selbst - zum Zweifel neigen.

Womöglich bin, zermürbt vom vielen Roden,
ich aber auch schon unfruchtbarer Boden
für jenes Samenkorn. Das wird sich zeigen.

Womöglich macht mich auch mein Denken blind ...
Wie war zu glauben einfach doch als Kind!
Gedanken tanzen den Dezemberreigen …



V

Gedanken tanzen den Dezemberreigen …
Alljährlich dem Adventsstreß auf dem Fuß
folgt heiligabend dann mein Weihnachtsblues -
als rieselte er von den Christbaumzweigen.

Indes soll grade dann ich Freude zeigen;
denn "Frohe Weihnacht!" schließlich heißt der Gruß
von Freund und Feind auf allen Billetdoux.
Es schickt just jetzt sich nicht, zum Blues zu neigen.

Und dennoch: meine Stimmung färbt sich trüber.
Ist nun ein weit'res Jahr doch bald vorüber
und ich werd' älter - was ich gern vermied'.

Es ist nur leider nichts daran zu ändern:
Die Blätter werden dünn an den Kalendern.
Das Jahr - und meine Lebenszeit - entflieht.



VI

Das Jahr - und meine Lebenszeit - entflieht.
Stur dreh' ich auf der Rennbahn meine Runden
und hab den Sinn noch immer nicht gefunden.
Was ist das Leben? Wirklich nur stupid?

Als Jugendlicher gibt man ihm Kredit;
es bietet ab und zu ja schöne Stunden.
Doch eines Tages ist sie dann verschwunden,
die Hoffnung, wird zumindest invalid.

Daß dieses dröge Alltags-Einerlei -
und weiter nichts! - der Sinn des Lebens sei:
die Einsicht fordert auf zum Suizid.

Das Wunder - hat an Weihnacht man den frommen
Gedanken - könnte nächstes Jahr doch kommen!
Ob "es" - nur was? - wohl nächstes Jahr geschieht?



VII

Ob "es" - nur was? - wohl nächstes Jahr geschieht?
Vielleicht gewinn' ich ein, zwei Millionen!?
Vielleicht wird sich mein Schuften endlich lohnen!?
Vielleicht im Plus 'mal statt im Defizit!?

Vielleicht befolg' ich, was mein Arzt mir riet!?
Vielleicht werd' ich mich wirklich besser schonen!?
Vielleicht 'mal meine Kompetenz betonen
auf meinem Lieblings- und Spezialgebiet!?

Im nächsten Jahr, da werd' ich's allen zeigen!
Da fisch' ich nicht mehr nur in trüben Tümpeln!
Das sag' ich meine Meinung laut statt leise!
Da werd' ich alles, was mich hemmt, entrümpeln
und abgeklärt sein, souverän und weise …

Hör auf, Narr, dich zur Hoffnung zu versteigen!



VIII

Hör auf, Narr, dich zur Hoffnung zu versteigen!
Was bist du? Nur durch Zufall auf der Welt!
Kein Glückskind, kein Genie, kein Star, kein Held!
Sei froh, wenn, die dich kennen, gnädig schweigen

und nicht enttäuscht mit Fingern auf dich zeigen.
Sie hätten sich ganz And'res vorgestellt
von dir. Was einer ist, dies Urteil fällt
der selbstbewußten Zeitgenossen Reigen.

Honor und honra - Anseh'n ist nicht Ehre.
Und selbst wenn Jener Gunst dir sicher wäre -
du würdest dennoch mehr als sie verlangen:

Als wär' da etwas noch - im Reich des Geistes -,
das alle Menschen eint. Und doch, du weißt es:
Kein Sinn ist und kein Gott. Weshalb dann bangen?



IX

Kein Sinn ist und kein Gott. Weshalb dann bangen?
Wenn's hochkommt, lebt der Mensch, heißt's, achtzig Jahr' -
und sieht dann, daß sein Leben sinnlos war.
Denn keiner ist dem Sterben noch entgangen.

Und alles, was er hoffend angefangen,
erlischt mit seinem Dasein offenbar.
In Kindern lebt sein Erbgut weiter zwar -
doch wollte er nicht mehr als dies erlangen?!

Und wie! Verzweifelt will er weiterleben!
Er kann sich nicht dem Tod, dem Nichts ergeben.
Und so ersann er sich ein Hoffnungslicht,
ersann sich Gott, der ihn "danach" empfängt.

Denn wozu leben, ist uns Tod verhängt?
Und wozu bauen, was ja doch zerbricht?



X

Und wozu bauen, was ja doch zerbricht?
Des Domes, dessen stolz die Stadt sich brüstet,
Portal ist schon seit Jahren eingerüstet.
Begangen werden darf es seither nicht.

Das Mauerwerk ist krank, hat Altersgicht
und bröckelt ab, sooft's den Wind gelüstet.
Ihr Sänger in der Kirche, wenn ihr wüßtet...!
Doch euer Blick gilt nur dem Kerzenlicht.

Gleicht diesem Krampfhaft-in-die-Flamme-Schauen
nicht auch das sogenannte Gottvertrauen?
Starrt nur auf eure Fünkchen wie gebannt!

Es kommt der Tag, da kracht es doch so laut,
daß aufgeschreckt ihr Richtung Ausgang schaut.
Was bleibt am Lebensende außer Tand?



XI

Was bleibt am Lebensende außer Tand?
Gern seh'n mit diesem Vanitas-Gedanken
wir Salzburgs Jedermann zum Grabe wanken.
Wer baut auf irdisch Gut, der baut auf Sand;

ist unser letztes weltliches Gewand
doch taschenlos! Wer mag da an den Banken
bloß spekulieren wie die Geisteskranken?!
Dient Mammon oder Gott man hierzuland?

Erstaunlich, wie's am Parkplatz vor dem Dom
im Streulicht nur so blitzt von teurem Chrom!
Welch Luxustroß zum Hirtenstall doch fand!

Nun ja, man reist heut' nicht mehr auf Kamelen.
Nur Nadelöhre, sonst darf nichts uns fehlen,
rein nichts - und dieser Schluß liegt auf der Hand.



XII

Rein nichts - und dieser Schluß liegt auf der Hand -
kann Gott an einem Tropf wie mir gefallen,
dem ketzerischsten, zynischsten von allen.
Doch rührt vielleicht daher mein Widerstand,

daß Er mich ewig auf die Folter spannt.
Seit Jahren hört Er meinen Ruf erschallen
nach Ihm und läßt ihn ungerührt verhallen -
als rief' und rennt' ich gegen eine Wand.

Nur manchmal, wenn ich zu sehr mich empörte,
ist mir, als ob ich leis' Ihn schmunzeln hörte:
"Ja, fluch mir nur und schreib ein Spottgedicht!
Letztendlich kannst du doch nicht von mir lassen."

Wenn es Ihn gäbe, müßte ich Ihn hassen.
Mich meint das "Freue dich" vom Dom her nicht.



XIII

Mich meint das "Freue dich" vom Dom her nicht.
Worüber sollt' ich mich an Weihnacht freuen?
Es muß Gott selbst doch mittlerweile reuen,
was abgeht hier! Wo bleibt sein Strafgericht?

Hat längst dort droben Er die Übersicht
verloren? Überließ Er allzu scheuen
Schulengelein die Erde zum Betreuen?
Fühlt "Vater unser" keine Aufsichtspflicht? -

Da fängt die Orgel nochmals an zu dröhnen,
bestürmt mein Ohr mit jenen Himmelstönen,
die einst, weit fern, ins Kinderherz mir drangen.

Die Kirchentür geht auf, Glanz strahlt heraus,
als wohnte wahrlich Gott in diesem Haus.
Schneit's doch? Ich spüre Feuchte auf den Wangen …



XIV

Schneit's doch? Ich spüre Feuchte auf den Wangen …
Wie hieß das? "Tönet fort, ihr Weihnachtslieder!
Die Träne quillt mir alle Jahre wieder"?
Nun strömen sie heraus, die Menschenschlangen.

Was bin ich eigentlich hierher gegangen?
So volle Kirchen sind mir doch zuwider!?
Jetzt leert sie sich. Die Kerzen brennen nieder.
Vorbei die Mette. - Oder angefangen?

Was hat mich plötzlich zu den Kindertagen -
das Kripplein dort vielleicht? - zurückgetragen?
Der Duft von Weihrauch und von Tannenzweigen?

Als ich hinausgeh', ist die Kirche leer;
am Parkplatz auch kein Mensch, kein Auto mehr.
Die Stadt liegt still in tiefem Weihnachtsschweigen.



XV

Die Stadt liegt still in tiefem Weihnachtsschweigen;
nur aus dem hellen Dom klingt leis' ein Lied.
Gilt's mir, der einsam durch die Gassen zieht?
Was such' ich? Gott? Mich? Schnee auf kahlen Zweigen?

Gedanken tanzen den Dezemberreigen.
Das Jahr - und meine Lebenszeit - entflieht.
Ob "es" - nur was? - wohl nächstes Jahr geschieht?
Hör auf, Narr, dich zur Hoffnung zu versteigen!

Kein Sinn ist und kein Gott! Weshalb dann bangen?
Und wozu bauen, was ja doch zerbricht?
Was bleibt am Lebensende außer Tand?

Rein nichts - und dieser Schluß liegt auf der Hand!
Mich meint das "Freue dich" vom Dom her nicht.
Schneit's doch? Ich spüre Feuchte auf den Wangen ...





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 26.12.2011
Kategorie: Feste & Feiertage

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